Fruktose statt Zucker: Gesundheitliche Auswirkungen im Überblick

Fruktose, auch Fruchtzucker genannt, genießt oft den Ruf eines gesunden Süßungsmittels. Früher wurde sie sogar in Diabetiker-Schokolade verwendet. Jedoch trügt dieser Schein. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Fruktose gesundheitsschädlicher sein könnte als bisher angenommen. Der Grund dafür ist überraschend und wirft ein neues Licht auf unseren Umgang mit diesem Einfachzucker.

Die globale Herausforderung: Übergewicht und Adipositas

Nach der Coronapandemie steht die Menschheit vor einer neuen Herausforderung: Neuesten Schätzungen zufolge werden im Jahr 2030 über eine Milliarde Menschen an krankhaftem Übergewicht, auch Adipositas genannt, leiden. Dies hat teure Folgen für unsere Gesundheitssysteme. In Deutschland ist bereits jetzt mehr als die Hälfte der Bevölkerung übergewichtig, und jeder Fünfte leidet an Adipositas.

Eine einfache Erklärung für diese Entwicklung ist, dass wir zu viel essen und uns zu wenig bewegen. Doch warum lässt unser Körper das zu? Gibt es eine biologische Ursache? Normalerweise wird das Körpergewicht präzise reguliert. Jedes Mal, wenn wir Energie aufnehmen oder verbrauchen, läuft ein komplexes Zusammenspiel von Hormonen ab, das uns Sättigung oder Hunger signalisiert, um das Energiegleichgewicht zu halten.

Die Rolle der Fruktose: Mehr als nur ein Süßungsmittel

Wenn unser Körpergewicht so gut reguliert ist, warum steigt die Zahl der Menschen mit krankhaftem Übergewicht weltweit so dramatisch an? Eine mögliche Erklärung könnte in einem Stoff liegen, den fast jeder täglich konsumiert: Fruktose.

Fruktose ist wie Glukose ein Einfachzucker und Energielieferant, wird aber vom Körper anders verstoffwechselt. Während Glukose mit Hilfe von Insulin kontrolliert in jede Körperzelle gelangt, wird Fruktose fast ausschließlich in der Leber verstoffwechselt und kann zudem unkontrolliert in die Leberzellen eindringen - ähnlich wie Alkohol. Im Gegensatz zu Glukose kann Fruktose nicht in Form von Glykogen gespeichert werden, weshalb der größte Teil von der Leber in Fett umgewandelt wird. Geringe Mengen sind für die Leber kein Problem, aber ein Übermaß an Fruktose überfordert sie. Die Folgen sind Leberverfettung, Fettstoffwechselstörungen und Übergewicht. Oft kommt es auch zu Diabetes mellitus, und die Diagnose lautet metabolisches Syndrom.

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Das Tierreich als Vorbild? Bären und ihr Umgang mit Fruktose

Interessanterweise sind Menschen nicht die einzigen Lebewesen, die gerne Fruchtzucker essen. Bären fressen vor dem Winterschlaf massenhaft Beeren, um sich ein dickes Fettpolster anzulegen. Grizzlybären können bis zu 200.000 Beeren pro Tag verzehren. Interessanterweise entwickeln die Tiere eine Art metabolisches Syndrom: Sie werden übergewichtig, ihre Blutfettwerte steigen, und sie entwickeln eine Insulinresistenz. Dieser Prozess ist jedoch reversibel. Nach dem Winterschlaf sind die Bären wieder schlank und gesund, ohne Folgeschäden befürchten zu müssen.

US-Wissenschaftler vermuten, dass der Stoffwechsel dieser Säugetiere sehr wohl auf zu viel Fruktose eingestellt ist, aber anders als man denkt. „Diese Tiere besitzen ein metabolisches Programm, das im Herbst die Fettspeicher füllt, um im Winter zu überleben. Fruktose spielt dabei eine entscheidende Rolle“, sagt Prof. Dr. med. Richard Johnson von der University of Colorado. Er forscht seit über 30 Jahren zu den Ursachen von Übergewicht und hat Hinweise darauf gefunden, dass Fruktose den Stoffwechsel in eine Art „Survival-Modus“ schaltet.

Der „Survival-Modus“: Ein zweischneidiges Schwert

Dieses Überlebensprogramm funktioniert laut Johnson auf mehreren Wegen. Einerseits steigert Fruktose unsere Kalorienaufnahme, indem sie Hungergefühle auslöst, das Sättigungsgefühl unterdrückt und die Nährstoffaufnahme im Darm verbessert. Gleichzeitig arbeitet der Körper auf Sparflamme. Dadurch gerät das Energiegleichgewicht aus dem Takt, und wir nehmen mehr Nahrung auf, als wir verbrauchen. Fruktose beeinflusst das Hormonsystem so, dass diese zusätzlichen Kalorien bevorzugt als Fettreserven gespeichert werden. Weiterhin induziert Fruktose eine selektive Insulinresistenz im Muskel und in den Bauchorganen, wodurch mehr Glukose ins Gehirn gelangt, wo sie in Hungerzeiten benötigt wird. Zudem erhöht sie den Blutdruck, um den Kreislauf aufrechtzuerhalten, und stimuliert das Immunsystem zum Schutz vor Krankheiten. Johnson betont, dass die meisten dieser Effekte nicht von Fruktose selbst, sondern von ihrem Stoffwechselprodukt Harnsäure vermittelt werden.

Der Mediziner vermutet, dass dieses „Survival-Programm“ auch bei uns Menschen existiert. Aufgrund einer Genmutation seien Menschen sogar besonders anfällig für die metabolischen Effekte von Fruktose. Eine länger andauernde Hungerperiode, ausgelöst durch kältere Temperaturen, führte zu einer Deletion des harnsäureabbauenden Uricasegens, was sich als Überlebensvorteil für unsere Spezies entpuppte. „Dadurch verdoppelte sich die Harnsäurekonzentration in unserem Körper, und der ,Survival-Modus‘ wurde schneller aktiviert“, so der US-Wissenschaftler. Unsere Vorfahren setzten nun bevorzugt Fett an, um für Hungerperioden gewappnet zu sein.

Das fehlende Puzzleteil: Das Verschwender-Gen

Schon viele Forschergenerationen waren auf der Suche nach einem solchen Survival-Mechanismus, um die starke Zunahme von Übergewicht und Typ-2-Diabetes im letzten Jahrhundert zu erklären. Einer der bekanntesten war James Neel, ein US-amerikanischer Genetiker, der bereits in den 1950er-Jahren vermutete, dass „sparsame“ Gene aus der Steinzeit unsere Neigung zu Übergewicht und Typ-2-Diabetes bestimmen. Bisher wurde aber noch keines dieser „thrifty genes“ entdeckt. Laut Johnson liegt das daran, dass Menschen kein Sparsamkeits-Gen besitzen, sondern ihnen ein Verschwender-Gen fehlt - das der Uricase.

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Überlastung des Fruktosesystems: Wenn Überlebensvorteile zu Nachteilen werden

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Fruchtzucker laut Johnsons Hypothese die körpereigenen Mechanismen zur Gewichtskontrolle gezielt außer Kraft setzt. So wird man übergewichtig und entwickelt ein metabolisches Syndrom, um sich vor Nahrungsknappheit zu schützen - ähnlich wie beim Bären. Der Unterschied ist nur, dass Menschen das System überlasten, indem sie es zu stark und dauerhaft aktivieren. Dann kehren sich die Überlebensvorteile in gravierende Nachteile um. Neueste Studien deuten darauf hin, dass übermäßiger Fruktosekonsum nicht nur den Stoffwechsel beeinträchtigt, sondern auch für die Zunahme an Krebs- und Alzheimer-Fällen verantwortlich sein könnte.

Kritische Stimmen: Ist Fruktose wirklich der Hauptschuldige?

Es gibt auch Kritik an Johnsons Hypothese. Dr. med. Stefan Kabisch, Ernährungsforscher an der Charité in Berlin, sieht die Rolle der Fruktose als zentralen Stoffwechselschalter trotz vieler plausibler Ansätze und Analogien noch mit einigen Fragezeichen. Er ist der Meinung, dass Fruktose vor allem sehr lecker ist, kaum sättigt und uns deswegen übergewichtig werden lässt. „Süßreize fördern die Aufnahme des nächsten Süßreizes, einfach weil sie gut schmecken“, so Kabisch.

Auch wenn Johnsons Hypothese erst noch am Menschen verifiziert werden muss, sind sich beide Wissenschaftler einig, dass Fruktose mitverantwortlich für die heutige Adipositas-Pandemie ist. Seit der industriellen Revolution ist der Fruktosekonsum steil angestiegen. Im 18. Jahrhundert wurden etwa 1 kg Fruktose pro Kopf und Jahr konsumiert, heute verbrauchen wir 35-mal so viel. Parallel dazu stieg auch die Adipositasrate an.

Die Fruktosequellen: Wo lauert der Fruchtzucker?

Besonders besorgniserregend sind Softdrinks, die häufig mit High Fructose Corn Syrup (HFCS), einer billigen Fruktose-Glukose-Mischung mit hohem Fruktoseanteil, gesüßt sind. Sie überfluten den Körper mit energiereicher Fruktose, ohne ein Sättigungsgefühl auszulösen. Man spricht daher auch von „leeren Kalorien“. Einen ähnlichen Effekt haben Fruchtsäfte, Smoothies oder die bei Kindern beliebten „Quetschies“. Lateinamerika nimmt den Spitzenplatz im Softdrinkkonsum ein, mit etwa 1.330 ml pro Kopf und Tag, was sich auch in den dortigen Adipositasraten widerspiegelt. In Deutschland wird mit etwa 240 ml etwas weniger getrunken, aber immer noch zu viel. Eine weitere Quelle für Fruktose ist Fertignahrung. Einer aktuellen Analyse zufolge konsumieren wir hierzulande etwa 600 g Fertignahrung pro Tag, was etwa 17 % unserer Gesamtenergieaufnahme entspricht.

Obst: Erlaubt oder verboten?

Was ist mit Obst? Kann es uns auch gefährlich werden? Johnson dazu: „Nein. Früchte haben viel weniger Fruktose, die zudem an Ballaststoffe gebunden ist. Der Körper kann sie aus der intakten pflanzlichen Zellstruktur heraus nur langsam aufnehmen. Zudem baut der Darm geringe Mengen Fruktose eigenständig ab, bevor sie in den Körper gelangen.“ Kabisch stimmt zu.

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Strategien zur Reduktion des Fruktosekonsums: Was können wir tun?

Es braucht Lösungen, um die schädlichen Auswirkungen des übermäßigen Fruktosekonsums zu begrenzen. Ein Ansatz wäre die Verwendung von Harnsäuremedikamenten wie Allopurinol, die in der Gichtbehandlung eingesetzt werden. Sie imitieren die Wirkung der Uricase, die Menschen verloren gegangen ist, und senken so den Harnsäurespiegel im Blut. Könnten sie vor den Folgen des übermäßigen Fruktosekonsums schützen? „Klinisch beschriebene Befunde dazu sind inkonsistent repliziert, etwa zur Wirkung von Harnsäuresenkern auf den Blutdruck“, so Kabisch. Johnson entgegnet: „Der Effekt von Allopurinol ist begrenzt, da unser Körper durch den dauerhaften Fruktosekonsum wohl schon irreversible Schäden davongetragen hat. Hierzu führen wir gerade noch Studien durch.“ Johnson ist zudem auch an der Entwicklung eines Fruktoseinhibitors beteiligt.

Da Tabletten wohl nicht die Rettung sind, bleiben vorerst nur Eigeninitiative und politische Maßnahmen. Ein guter Start war sicherlich die Einführung des Nutri-Scores im Jahr 2020. Er ist auf verarbeitete Nahrungsmittel ausgelegt und signalisiert Verbrauchern auf einen Blick, welche Lebensmittel zu meiden sind. Auch ein Werbeverbot für zuckerhaltige Produkte, wie es bei Zigaretten üblich ist, sollte in Betracht gezogen werden. Ein weiterer Schritt wäre eine Steuer auf Softdrinks. Denn freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie zur Zuckerreduktion sind hierzulande wohl wirkungslos, wie eine jüngst veröffentlichte Studie zeigt. Das Vereinigte Königreich hat es vorgemacht und besteuert seit 2016 alle Süßgetränke. Erste Auswertungen zeigen bereits einen Rückgang von Adipositas bei jungen Mädchen. „Deutschlandweit, noch besser europaweit wäre eine solche Steuer ein hilfreicher Beitrag, wenn gleichzeitig gesunde Lebensmittel auch für einkommensschwache Haushalte bezahlbar werden“, sagt Kabisch. Hier ist also die Politik gefordert. Aber auch Ärzte können tätig werden: Eine gezielte Ernährungsanamnese in Risikogruppen und die Aufklärung über die schädlichen Effekte eines zu hohen Fruktosekonsums sind ein erster wichtiger Schritt im Kampf gegen die Adipositas-Pandemie.

Fünf einfache Tipps für den Alltag:

  1. Trinken Sie Wasser und ungesüßten Tee oder Kaffee: Vermeiden Sie Erfrischungsgetränke, aber auch Fruchtsäfte und -schorlen, Smoothies sowie Milchmix-Getränke. Auch Light-Produkte sind keine Alternative, da künstliche Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe auch ihre negativen Seiten haben.
  2. Verzichten Sie auf hochverarbeitete Lebensmittel und Fertigprodukte: Diese Produkte enthalten neben Zucker oft auch zu viel Salz und ungünstige Fette.
  3. Reduzieren Sie Süßigkeiten: Naschen Sie eine Handvoll naturbelassene Nüsse statt Gummibärchen oder Schokokuss.
  4. Achten Sie auf versteckten Fruchtzucker: Fruchtzucker steckt nicht nur in süßen Lebensmitteln, sondern auch in Saucen (z.B. Ketchup) oder Gemüsekonserven, wie Rotkohl. Achten Sie nicht nur auf „Fruchtzucker“, sondern auch auf „Fruktose-Glukose-Sirup“.
  5. Tauschen Sie clever: Greifen Sie morgens statt zum gesüßten Fruchtjoghurt oder Fertig-Müsli zu Naturjoghurt mit Beerenfrüchten und Haferflocken.

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