Extreme Lust auf Schokolade: Ursachen und Lösungsansätze
Fast jeder Mensch kennt das gelegentliche Verlangen nach Süßem. Insbesondere in den Wintermonaten oder in Stresssituationen gelüstet es uns nach Schokolade, Keksen oder Kuchen. Auch bei Kindern scheint dieses Bedürfnis besonders stark ausgeprägt zu sein. Doch woher kommt diese extreme Lust auf Schokolade und was kann man dagegen tun?
Biologische und evolutionäre Grundlagen
Wie viele andere Bedürfnisse beruht auch das Verlangen nach Süßem auf elementaren biologischen Grundlagen. Aus evolutionsbiologischer Sicht stellt die süße Lust einen enormen Vorteil dar: So nahmen unsere Vorfahren gleichzeitig mit dem Verzehr von Süßem wie Obst oder Honig auch lebenswichtige Vitamine und Mineralstoffe auf. Heute weiß man, dass ein Mangel an solchen Stoffen - z. B. Magnesium, Eisen oder Folsäure - depressive Symptome auslösen kann. Der Genuss von reifem Obst ist also ein grundlegender biologischer Mechanismus, der uns vor Mangelerscheinungen schützt und gleichzeitig auch schlechte Stimmungen wieder ausgleicht.
Neben dieser evolutionsbiologischen Vorliebe für Süßes lernen wir schon am ersten Lebenstag beim Anlegen an die Mutterbrust, dass der Genuss von süßer Milch nicht nur für die notwendige Energiezufuhr und ein angenehmes Sättigungsgefühl sorgt. Er ist gleichzeitig auch mit Zuwendung und Aufmerksamkeit und letztendlich mit dem Gefühl der Geborgenheit verbunden.
Schneller Energieschub durch Kohlenhydrate
Der Appetit auf Süßes lässt sich bei Kindern häufig nicht allein durch Obst befriedigen. In vielen Fällen steckt hinter dem Heißhunger auf Schokolade ein ganz elementares Bedürfnis nach einem schnellen Energieschub. Typische Süßigkeiten bestehen zum größten Teil aus einfachen Kohlenhydraten wie Zucker, die sehr schnell vom Körper in Energie umgewandelt werden können. So liegt der Kohlenhydratanteil von Schokolade bei etwa 55 Prozent. Viele Untersuchungen zeigen zudem, dass Kohlenhydrate neben der physischen Leistung auch die Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit steigern, eben weil sie schnell in Energie umgewandelt werden. Diese Energiezufuhr bewirkt auch, dass kohlenhydratreiche Mahlzeiten im Vergleich zu fettreichen Speisen die Müdigkeit verringern. Dies gilt insbesondere für das Frühstück. Nach einem kohlenhydratreichen Start hat also auch der Schokoriegel oder ein Stück Traubenzucker als "Notfallration" durchaus seine biologische Berechtigung.
Stimmungsaufhellende Wirkung
"Schokolade macht glücklich" ist ein viel zitierter Satz. Doch gerade bei Erwachsenen wird die Lust auf Süßes sehr zwiespältig empfunden. So verspricht zwar das Stückchen Schokolade einen Lustgewinn, gleichzeitig besteht häufig aber Angst vor einer Gewichtszunahme oder Karies. Entsprechend entwickeln wir beim Genuss von Süßigkeiten schnell ein schlechtes Gewissen. Denn Schokolade enthält neben Kohlenhydraten mit etwa 30 Prozent auch einen erheblichen Anteil an Fett. Nicht nur Kohlenhydrate, sondern auch Fette können stimmungsaufhellend wirken. Ein hoher Kohlenhydratanteil in der Nahrung bewirkt, dass die Bauchspeicheldrüse vermehrt Insulin ausschüttet. Das Hormon erhöht die Aufnahme der großen neutralen Aminosäuren in die Zellen. Mit Ausnahme der essenziellen Aminosäure Tryptophan werden alle anderen großen neutralen Aminosäuren vor allem vom Muskelgewebe aufgenommen. Da diese Aminosäuren miteinander um einen gemeinsamen Transportweg durch die Blut-Hirn-Schranke konkurrieren, gelangt nach kohlenhydratreichen Mahlzeiten oder Snacks relativ mehr Tryptophan in das Gehirn. Tryptophan ist die Vorstufe des Serotonins, einem zentralen Botenstoff, auch Transmitter genannt. Eine erhöhte Tryptophanzufuhr ermöglicht eine gesteigerte Serotoninbildung und -freisetzung im Gehirn. Das so genannte serotonerge System besitzt mehrere Eigenschaften, die es von anderen zentralen Transmittersystemen unterscheidet: Ausgehend vom Hirnstamm erreicht es ohne weitere Zwischenschaltungen alle anderen Hirnbereiche einschließlich des Vorderhirns. Dabei kann die Freisetzung von Serotonin eine unterschiedliche Aktivität einzelner Bereiche ausgleichen. Diese harmonisierende Wirkung des Serotonins können wir unter bestimmten Umständen als Wohlgefühl wahrnehmen. Insgesamt wirkt eine vermehrte Ausschüttung von Serotonin stimmungsaufhellend, appetithemmend und schlaffördernd.
Lesen Sie auch: Hot Chocolate Brownie: Ideen und Erfahrungen
Einfluss von Fetten auf die Stimmung
Normalerweise sind 90 Prozent des im Blut verfügbaren Tryptophans an das Protein Albumin gebunden. Eine vermehrte Fettzufuhr lässt die freien Fettsäuren im Blut ansteigen. Diese verdrängen das Tryptophan aus seiner Albumin-Bindung. Als Folge steht mehr freies Tryptophan für den Transport in das Gehirn zur Verfügung. Entsprechend kann mehr Serotonin produziert und freigesetzt werden und seine harmonisierende Wirkung entfalten.
Suchtähnliche Verhaltensweisen bei Übergewicht
Wie andere essgestörte Patienten entwickeln auch adipöse Menschen schnell Verhaltensweisen, die an Suchtverhalten erinnern. Daten aus Tierexperimenten helfen, die biochemischen Hintergründe zu verstehen: Ratten, die extrem fettreich ernährt wurden, nahmen nicht nur massiv an Gewicht zu. Auch die Zahl der Bindungsstellen, die das Serotonin wieder in die Zelle zurücktransportieren (Serotonin-Transporter) stieg deutlich an. Damit wird das Serotonin schneller als normalerweise wieder von seinem Wirkungsort entfernt und kann seine harmonisierende Wirkung nicht oder nur teilweise entfalten. Offenbar verbessert aus diesem Grund eine kohlenhydratreiche Mahlzeit bei adipösen Personen kaum die Stimmung. Einmal übergewichtig geworden, brauchen sie möglicherweise eine hohe Fettzufuhr, um zumindest die Grundaktivität ihres serotonergen Systems aufrecht erhalten zu können.
Stress als Auslöser
Die Zufuhr von Kohlenhydraten steigert zwar die Aktivität des serotonergen Systems. Sie macht jedoch nicht unbedingt jeden Menschen glücklicher. Viele Beobachtungen und wissenschaftliche Untersuchungen zeigen mal einen stärkeren, mal einen weniger engen Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Kohlenhydraten und der Stimmungslage. Ob eine gesteigerte Kohlenhydrataufnahme zu guter Laune führt, scheint also abhängig vom Ausgangszustand des Einzelnen zu sein: Soll eine kohlenhydratreiche Mahlzeit nur schnell Energie liefern, so finden sich praktisch keine Effekte auf die Stimmung. Anders ist das bei Angst, Unsicherheit und Stress. Bei solchen Gefühlszuständen ist das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen neuronalen Netzwerken innerhalb des Gehirns gestört. Unter diesen Bedingungen ist die Versuchung besonders groß, die verlorengegangene Harmonie durch eine gesteigerte Kohlenhydrat- oder Fettzufuhr wiederherzustellen. Es entsteht Heißhunger auf Süßes. Dieser Mechanismus lässt sich auch experimentell nachweisen. So wählten Versuchspersonen nach einer künstlich erzeugten Stresssituation vermehrt kohlenhydratreiche Nahrungsmittel aus bzw. aßen mehr Süßes. In anderen Tests zeigten insbesondere Stress anfällige Menschen eine verbesserte Stimmung, wenn sie vorher Süßigkeiten verzehrten. Umgekehrt vermindert eine kohlenhydratreiche Mahlzeit den Stress bedingten Anstieg depressiver Symptome bei Personen, die auf Stress empfindlich reagieren. Der Griff zu Schokolade macht also in Zeiten erhöhter Anspannung durchaus Sinn.
Selbstregulation und emotionale Stabilisierung
Der Einfluss dieses biologischen Selbstregelungsmechanismus wird jedem spätestens dann klar, wenn dieses Verlangen nicht gestillt wird, etwa aus Angst vor einer Gewichtszunahme. Die stressinduzierte Störung des emotionalen Gleichgewichts bleibt dann bestehen. Unter Umständen entlädt sich das Bedürfnis nach Kohlenhydraten in Form von starkem Heißhunger oder führt zu zwanghaftem Essverhalten. Am deutlichsten wird dies bei den Ess-Störungen wie der Ess-Brech-Sucht (Bulimia nervosa). Sie beginnt meist während der Pubertät oder im jungen Erwachsenen-alter und äußert sich in Heißhungerattacken, auf die Erbrechen oder die Einnahme von Abführmitteln folgt. So soll die befürchtete Gewichtszunahme vermieden werden.
Der Heißhunger auf Süßes kann also als Versuch von Selbstregulation und emotionaler Stabilisierung verstanden werden. Unbewusst wird dabei das serotonerge System stimuliert. Sowohl eine gesteigerte Kohlenhydrat- als auch Fettzufuhr führen zu einer höheren Konzentration des zentralen Botenstoffs Serotonin. Er harmonisiert die Aktivitäten, die in verschiedenen Hirnregionen ablaufen. Diesen Effekt nehmen wir dann als Gefühl - z. B. als Stimmungsaufhellung - wahr. Durch eine frühe Konditionierung zwischen dem Geschmack "süß" und dem Gefühl der Geborgenheit kann dieser Mechanismus verstärkt werden. Gleichzeitig liegt hier auch die biologische Grundlage, dass psychische Abhängigkeiten entstehen und in Extremfällen schwere Ess-Störungen auftreten können.
Lesen Sie auch: Lust auf Vegan: Ein Testbericht
Weitere Ursachen für Heißhunger auf Schokolade
Neben den biologischen und psychologischen Faktoren gibt es noch weitere Ursachen, die zu Heißhunger auf Schokolade führen können:
- Nährstoffmangel: Ein Mangel an bestimmten Nährstoffen wie Magnesium, Eisen, Zink oder B-Vitaminen kann das Verlangen nach Schokolade verstärken. Insbesondere dunkle Schokolade enthält eine große Menge Magnesium.
- Blutzuckerspiegel: Ein niedriger Blutzuckerspiegel, der durch lange Essenspausen oder den Konsum von stark zuckerhaltigen Lebensmitteln verursacht wird, kann Heißhungerattacken auslösen.
- Hormonelle Schwankungen: Bei Frauen können hormonelle Veränderungen, insbesondere während des Menstruationszyklus oder in den Wechseljahren, das Verlangen nach Süßem verstärken.
- Schlafmangel: Schlafmangel führt zu einer erhöhten Ausschüttung des Hormons Ghrelin, das das Hungergefühl verstärkt.
- Gewohnheit: Der regelmäßige Konsum von Schokolade kann zu einer Gewohnheit werden, die das Verlangen nach Süßem verstärkt.
- Darmbakterien: Bestimmte Darmbakterien können Stoffe freisetzen, die das Verlangen nach Zucker verstärken.
Was tun gegen Heißhunger auf Schokolade?
Es gibt verschiedene Strategien, um den Heißhunger auf Schokolade zu kontrollieren und zu reduzieren:
Ernährungsumstellung
- Regelmäßige Mahlzeiten: Vermeiden Sie lange Essenspausen und nehmen Sie regelmäßig drei ausgewogene Mahlzeiten und gegebenenfalls zwei kleine Snacks zu sich.
- Ausgewogene Ernährung: Achten Sie auf eine ausgewogene Ernährung mit ausreichend komplexen Kohlenhydraten (Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Gemüse), Eiweiß und gesunden Fetten.
- Blutzuckerspiegel stabilisieren: Vermeiden Sie stark zuckerhaltige Lebensmittel und Getränke, die den Blutzuckerspiegel schnell ansteigen und wieder abfallen lassen.
- Nährstoffmangel ausgleichen: Stellen Sie sicher, dass Sie ausreichend Nährstoffe wie Magnesium, Eisen, Zink und B-Vitamine zu sich nehmen. Bei Bedarf können Sie Nahrungsergänzungsmittel einnehmen, nachdem Sie dies mit Ihrem Arzt abgeklärt haben.
- Bitterstoffe: Bitterstoffe können den Appetit zügeln und Heißhunger reduzieren. Integrieren Sie Lebensmittel wie Grapefruit, Oliven oder Chicorée in Ihre Ernährung.
- Ballaststoffe: Ballaststoffreiche Lebensmittel wie Müsli, Vollkornbrot oder Gemüse sättigen länger und halten den Blutzuckerspiegel stabil.
Verhaltensänderungen
- Stress reduzieren: Identifizieren Sie Ihre Stressauslöser und planen Sie bewusst Ruhepausen in Ihren Alltag ein. Bewegung, Sport, Meditation oder Entspannungstechniken können helfen, Stress abzubauen.
- Ablenkung: Lenken Sie sich ab, wenn der Heißhunger aufkommt. Gehen Sie spazieren, lesen Sie ein Buch, hören Sie Musik oder telefonieren Sie mit einem Freund.
- Alternativen finden: Suchen Sie nach gesunden Alternativen zu Schokolade, wie Obst, Nüsse, Joghurt oder dunkle Schokolade mit hohem Kakaoanteil.
- Bewusster Genuss: Nehmen Sie sich Zeit, Schokolade bewusst und in kleinen Mengen zu genießen. Oft reicht es, ein kleines Stück ganz bewusst zu essen, um den Appetit zu stillen.
- Belohnungssystem umprogrammieren: Ersetzen Sie die Belohnung durch Süßigkeiten durch andere positive Erlebnisse, wie Bewegung, ein gutes Buch oder ein Treffen mit Freunden.
- Essgewohnheiten erkennen: Führen Sie ein Ernährungstagebuch, um schlechte Essgewohnheiten zu erkennen und gegenzusteuern.
- Umgang mit Gelüsten: Geben Sie nicht gleich dem ersten Essensimpuls nach. Das Verlangen geht meist auch wieder vorbei.
Weitere Tipps
- Trinken Sie ausreichend: Trinken Sie ein Glas Wasser oder Tee, wenn der Heißhunger aufkommt. Oft wird Durst mit Hunger verwechselt.
- Zähne putzen: Putzen Sie sich die Zähne oder kauen Sie einen zuckerfreien Kaugummi mit Minzgeschmack, um den Appetit zu reduzieren.
- Schlaf: Achten Sie auf ausreichend Schlaf, um die Ausschüttung von Ghrelin zu reduzieren.
- Keine Vorräte anlegen: Kaufen Sie keine großen Mengen an Süßigkeiten, um der Versuchung zu entgehen.
- Professionelle Hilfe: Wenn der Heißhunger auf Schokolade Ihren Alltag stark beeinträchtigt oder Sie Schwierigkeiten haben, ihn alleine zu kontrollieren, kann es hilfreich sein, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen.
Schokoladensucht: Mythos oder Realität?
Schokoladensucht ist in der Regel eine psychische und keine körperliche Abhängigkeit. Schokolade selbst macht anders als beispielsweise Alkohol nicht körperlich abhängig. Allerdings enthält Schokolade Zucker, und der kann durchaus eine Abhängigkeit hervorrufen. Diese Gewohnheit kann so stark werden, dass sie einem suchtähnlichen Verhalten gleicht, obwohl keine physische Abhängigkeit im eigentlichen Sinne besteht.
Hedonische Hyperphagie
Eine Erklärung für den Kontrollverlust beim Essen von Schokolade liefert das Konzept der "Hedonischen Hyperphagie". Eine zentrale Rolle spielt dabei das Verhältnis von 50 Prozent Kohlenhydraten zu 35 Prozent Fett. Daneben könnte auch Magnesiummangel ein möglicher Auslöser für Schokoladensucht sein, da Schokolade, insbesondere dunkle Schoki, relativ hohe Mengen des Mineralstoffs enthält.
Gefahren von zu viel Schokolade
Der Verzehr einer sehr großen Menge Schoki kann zu einer Überdosis an Theobromin führen, einer stimulierenden Substanz, die in Kakao enthalten ist. Zusätzlich können der hohe Zucker- und Kaloriengehalt zu verschiedenen gesundheitlichen Problemen führen. Regelmäßiger, übermäßiger Konsum könnte beispielsweise das Risiko für Übergewicht und Zahnschäden erhöhen.
Lesen Sie auch: Hype, Inhaltsstoffe und Qualität: Dubai-Schokolade im Vergleich
Moderater Konsum ist unbedenklich
In Maßen genossen, darin sind sich Experten einig, kann Schokolade aber durchaus Teil einer ausgewogenen Ernährung sein. Professor Curt Diehm, Facharzt für Innere und Gefäßmedizin, hält bei moderater Bewegung eine Viertel Tafel Schokolade täglich für unproblematisch.
tags: #extreme #lust #auf #schokolade #ursachen


