Schwarzer Zucker, rotes Blut: Eine Dokumentation über Identitätssuche, Krieg und Menschlichkeit
Der Dokumentarfilm „Schwarzer Zucker, rotes Blut“ von Luigi Toscano ist ein bewegendes Zeugnis der Identitätssuche einer Holocaustüberlebenden aus Kiew, Anna Strishkowa, und verknüpft auf eindringliche Weise das dunkelste Kapitel des 20. Jahrhunderts mit den Krisen der Gegenwart. Der Film, der für die Berlinale 2024 eingereicht wurde, zeigt, wie Beharrlichkeit und Empathie dazu beitragen können, ein verborgenes Schicksal aufzudecken.
Annas Geschichte: Eine Suche nach der verlorenen Identität
Anna Strishkowa, deren wahrer Name und Herkunft unbekannt sind, überlebte als Kind das Konzentrationslager Auschwitz. Nach ihrer Befreiung wurde sie von einer ukrainischen Familie adoptiert, die ihr eine liebevolle Umgebung bot. Doch die Erinnerungen an ihre frühe Kindheit und das Trauma des Holocaust blieben bestehen. Sie wusste nicht, wer ihre leiblichen Eltern waren, ob sie Geschwister hatte oder woher sie stammte. Ihre Adoptiveltern ließen die Auschwitz-Nummer auf ihrem linken Unterarm entfernen, um sie vor Stigmatisierungen und bösen Erinnerungen zu schützen.
Nach dem Tod ihrer Adoptiveltern begann Anna, eigene Nachforschungen anzustellen, um mehr über ihre Herkunft zu erfahren. Doch die Behörden waren keine Hilfe. Sie erhielt vom Auschwitz-Archiv lediglich die Bestätigung, dass es einen Häftling mit ihrer Nummer gegeben habe. Ihre Nummer erfuhr Anna aus einem sowjetischen Propagandafilm von 1945, in dem sie als befreites Kind auftauchte.
Luigi Toscano: Ein Filmemacher auf den Spuren der Vergangenheit
Der Mannheimer Fotograf und Filmemacher Luigi Toscano lernte Anna 2015 im Rahmen seines Projekts „Gegen das Vergessen“ in Babyn Jar kennen. Anlass war seine Mitwirkung an der Gedenkveranstaltung für die in der Schlucht von Babyn Jar bei Kiew am 29. und 30. September 1941 durch die SS ermordeten 33.771 Jüdinnen und Juden. Bewegt von Annas Schicksal, beschloss er, ihr bei der Suche nach ihrer Identität zu helfen.
Mit Annas Einverständnis begann Toscano eine Odyssee durch Archive in Yad Vashem in Israel, in Bydgosczc und Auschwitz in Polen, in der ukrainischen Hauptstadt Kiew und im weltweit größten NS‑Dokumentenzentrum im nordhessischen Bad Arolsen. Die Suche führte ukrainische Historiker, polnische Dokumentare und deutsche Kriminalforensikerinnen zusammen, die jeden neuen Fakt aus der Lebensgeschichte gründlich bewerteten.
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Die Enthüllung von Annas Geheimnis
Die Auschwitz-Nummer der deutschen Mordbürokratie ist der Schlüssel, um mehr über Annas Herkunft zu erfahren - und dennoch zugleich das Problem, denn sie führt letztlich nicht zu einem Kind namens Anna, sondern zu einer Frau, deren Spur sich im KZ Ravensbrück verliert.
Welcher Zufall den Fotografen und Filmemacher jedoch letztlich auf die richtige Spur führt und welche Folgen das für Anna hat, das ist das eigentlich Spannende an dieser Dokumentation.
Trotz der Herausforderungen betont der Filmemacher die emotionale Kraft der Geschichte: „Anna hat uns gezeigt, wie man trotz allem weiterleben kann.“
Geschichte und Gegenwart im Angesicht des Krieges
In dem Film prallen Geschichte und Gegenwart brutal aufeinander. Auf der einen Seite steht die Befreiung von den deutschen Nazi-Mördern durch die Rote Armee, auf der anderen der Einmarsch russischer Soldaten in Annas Heimatland Ukraine.
Die Kiewer Ärztin ist nun erneut von einem Krieg eingeholt worden. Ihre Heimatstadt will sie nicht verlassen. In den Wolken hat sie, die orthodoxe Christin, den Erzengel Michael gesehen, der die Stadt vor den russischen Bomben beschützte.
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Toscano kontrastiert sein fiebriges Suchen nach der Wahrheit über Anna mit Bildern aus der Wohnung der Seniorin. Sie plaudert beim Kaffee mit ihrem deutschen Gast, lässt sich bei der Morgengymnastik filmen und betet zu den Engeln, die zwischen Kiews Hochhäusern wandeln und die Stadt beschützen - so Annas Überzeugung. Wenn gerade nicht die Sirenen heulen.
Die Bedeutung von Erinnerung und Empathie
„Schwarzer Zucker, rotes Blut“ ist mehr als nur die Rekonstruktion eines Lebenslaufs. Der Film zeigt, wie schwierig sich eine solche Recherche gestalten kann, wie viel Arbeit darin steckt, aber auch, wie erfolgreich ein solches Erinnerungsprojekt aber immer noch sein kann.
Der Film ist nicht nur ein persönliches Porträt, sondern auch eine Mahnung, den Holocaust niemals zu vergessen, so Toscano. Er verbindet das dunkelste Kapitel des 20. Jahrhunderts mit den Krisen der Gegenwart - und unserem Umgang damit.
Kritik und Anerkennung
Einige Kritiker bemängeln, dass sich Luigi Toscano in dem Film zu sehr in den Vordergrund stellt. Dennoch ist dieser engagierte und sehr persönliche Film aber durchaus sehenswert. Anhand von einem Schicksal macht „Schwarzer Zucker, Rotes Blut“ deutlich, wie verschlungen die Lebensläufe zahlloser Menschen waren, die in die Fänge des Lagerterrors und der Vernichtungsmaschinerie der Nazis geraten waren. Und welcher Aufwand dahintersteckt, diese Lebensläufe zu rekonstruieren und Leerstellen zu füllen sowie Fragen zu beantworten.
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