Pudding an die Decke werfen Mythos

Die Geschichte der Kommune 1 und ihrer Aktionen ist von Mythen und Missverständnissen umrankt. War es mehr als die Suche nach dem nächsten Kick? Oder steckte doch der Wunsch nach einer neuen Gesellschaftsordnung dahinter?

Die Kommune 1: Ein Experiment der 60er

Die Kommune 1 war ein Experiment, das erst heute richtig begriffen werden kann. Damals ging alles zu schnell. Mit ihren Matratzenlagern schufen die Kommunarden 1967 die erste Big-Brother-Nummer, nur unter härteren Bedingungen: Die Klotüren wurden ausgehängt, das Geld wurde geteilt, und es gab, im Prinzip, kein Zurück. Die erste Container-Show also, und natürlich war Sex das Thema. »Was kümmert mich der Vietnam-Krieg, wenn ich Orgasmusprobleme habe«, dekretierte der Kommunarde Kunzelmann. Das ist heute die Essenz jeder Nachmittags-Talkshow, doch damals konnte ein solcher Satz mit endlosen Theorie-Echos rechnen, denn stets ging es um alles: den neuen Menschen, die neue Gesellschaft.

Umlagert von der Öffentlichkeit waren die Matratzen immer. »Sie wollen potentielle Anhänger ihrer Idee, Jungen und Mädchen aus den Beatlokalen, zu Ladendiebstählen in Kaufhäusern und Supermärkten anhalten«, berichtete der »Stern«.

Das war schon gruselig genug. Doch erst dann kam der Satz, der den Berliner Kommissar Gutjahr zum Handeln zwang: »Dagmar und Dorothea sind theoretisch die Gefährtinnen sämtlicher männlicher Maoisten.« Im April 1967 erhob Gutjahr Anklage gegen die Kommune 1 nach § 180 StGB wegen Kuppelei.

Es gab solche Paragrafen noch in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die Kommune 1, in ihren ständigen Versuchen, das System zum Geständnis seiner latenten Gewalttätigkeit zu zwingen, enthüllte eben oft nicht mehr als dessenAbsurditäten und institutionelle Überalterungen, seine inhärente Komik.

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Die Kommunarden verstanden sich selbst als öffentliches Ereignis und waren darin modern. Alles wurde Kabarett. Telefongespräche liefen über einen Verstärker. Briefe der Eltern wurden verlesen, es waren liebende darunter, aber auch mahnende, wütende. »Lieber Fritz, wem soll das nützen?«, fragte die besorgte Mutter Teufel. Man konnte Kopien davon kaufen. Embedded Journalist Peter Brügge berichtete für den SPIEGEL 1967 davon, mit kaum verhohlenem Ekel.

Doch der Handel mit Gerichtsakten und Privatpost war nicht ohne Logik: Da das Intimste zum Politikum erklärt worden war, war es öffentlich und verhökerbar. Und natürlich ist es seither noch viel öffentlicher und verhökerbarer: Heute zeigt jeder Zweite im Internet so viel von sich, wie er nur kann. Insofern waren sie tatsächlich Avantgarde. Die erleuchtetsten Köpfe der Zeit schauten vorbei, zum Beispiel der weißhaarige Philosoph Herbert Marcuse, der die Stunde gekommen sah, den »eindimensionalen Menschen« zu überwinden. Allerdings konnte er mit der spöttischen Mehrdimensionalität der Kommune-Menschen nicht viel anfangen. »Es war ihm wohl zu ungemütlich, er verabschiedete sich schnell«, sagt Langhans.

Auch die Eltern der Kommunarden kamen. Langhans' Vater probierte einen Joint und beschwerte sich, dass er »überhaupt gar nichts spüre«. Er verabschiedete sich schnell. Vom Fenster aus beobachtete dann eine feixende Kommunardenhorde, wie Papa runde 20 Minuten brauchte, um sein teures Cabrio aufzuschließen.

Der Alltag? Für die beiden Kleinkinder fühlten sich alle ein bisschen zuständig und keiner richtig. Der junge Nessim redete seine Mutter mit »Schwester« an. Mittags besorgte man Essen aus der Mensa oder zog mit den Kindern gleich dorthin, wo dann die kleine Grischa unter den Tischen krabbeln konnte.

Heute ist wahrscheinlich jede Prekariats-Familie aufmüpfiger, doch damals trugen die Studenten mehrheitlich Anzüge und Männer Hüte und Frauen Kostüme. Das schuf beträchtliche Distinktionsgewinne. Die Kommunarden bespielten eine ganz große Bühne: die Phantasien einer ganzen Gesellschaft.

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Und die Kritiken wurden penibel ausgewertet. Die Kommunarden waren so mediengeil wie jedes Filmsternchen, und sie wussten, dass sie gut waren.

Sie ließen sich einen Fernseher spendieren, weil, so Kunzelmann, »ja manchmal was über uns kommt«. Penible Ordnung gab es nur in einem einzigen Raum - dort, wo der Ausschnittdienst verrichtet wurde, mit Schere, Klebstoff, Leitz-Ordnern.

Sie waren Chronisten in eigener Sache, berauscht von der eigenen Bedeutung. Konnte es überhaupt ein größenwahnsinnigeres Vorhaben geben, als den ganz neuen Menschen zu schaffen, den »Menschen des 21. Jahrhunderts«, wie ihn Ché Guevara in jenen Tagen forderte?

Es war eine weltrevolutionäre Selbstbeauftragung, für die ganz besonders Intellektuelle schon immer anfällig waren, durch alle Zeiten. Die jungen Anarchisten im zaristischen Russland fühlten sich davon genauso beseelt wie die Pariser Revolutionäre, die Flaubert in »L'Éducation sentimentale« schildert, oder Ernst Toller und die Münchner Räte-Bohemiens.

Weder Flauberts Frédéric Moreau noch Dostojewskis Raskolnikow fühlen sich gebunden an die moralischen Gesetze in ihrem Streben nach Glück und Menschheitsbefreiung. Die Kommunarden gingen in gewisser Weise weiter. Sie nahmen die Regelverletzung nicht einfach nur in Kauf - sie war ihr Hauptanliegen.

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Wie komisch und in auftrumpfender Ohnmacht die Geschichte des Ungehorsams begann. Schon einige Tage bevor siezusammenzogen, organisierten die Kommunarden »Spaziergangsdemonstrationen« im Trubel der Weihnachtseinkäufe 1966 auf dem Ku'damm.

Die Handlungsanleitung wurde in lustige Kinderreime gepackt:»Kommt die Polizei vorbeigehen wir an ihr vorbeian der nächsten Ecke dannfängt das Spiel von vorne an.«

Die Ordnungskräfte reagierten wie vorgesehen: hysterisch. Sie verhafteten Studenten, Schüler, Passanten zu Dutzenden. Die Kommunarden störten den Konsumtrubel und ließen sich dafür prügeln. Noch an seinem Todestag am 6. August 1969 schrieb der Philosoph Theodor W. Adorno an Herbert Marcuse von den Meriten der Studentenbewegung, die »den glatten Übergang zur total verwalteten Welt unterbrochen« hätte. Allerdings vergaß er nicht, das »Quentchen Wahn« zu benennen, das allem beigemischt war.

Es war ein Wahn, der in diesen Tagen die ganze westliche Welt befallen hatte. Alles ganz neu zu gestalten, das war ein Traum von gewaltiger Schönheit und noch gewaltigerer Schonungslosigkeit. Und er war universell: Da hatte sich ganz ohne CNN, ohne Internet, ein Global Village des Protests zusammengeschlossen. »Es war gespenstisch«, sagt Langhans. »Dieser Ausbruch an Energie, ohne große Absprache, überall.«

Nur ein kleines Zeitfenster in diesem Jahr 1967, und alles schien in ein rätselhaftes neues Licht getaucht, als leuchte die Erde auf unter einem Strahl, der aus einer fernen Zukunft geworfen worden war. 1967 war der große Einspruch in den Lauf der Dinge, in den Skandal von Ausbeutung und Ungerechtigkeit.

Immer neu ist dieses Jahr erzählt worden, denn man ist längst noch nicht durch damit. »Alles«, so Richard Powers in seinem Bestseller »Der Klang der Zeit«, »passierte gleichzeitig.« Ché Guevara kämpfte in Bolivien, Dr. Christiaan Barnard verpflanzte ein menschliches Herz, die Beatles brachten »Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band« heraus, und in Prag trafen sich Intellektuelle und Parteikader und beschlossen, den stalinistischen Frost aufzubrechen.

Die israelische Armee besiegte die der arabischen Welt in sechs Tagen, und die Journalistin Ulrike Meinhof forderte Unterstützung - für Israel.

In den amerikanischen Städten kam es zu über 70 Aufständen der Schwarzen, zu Bränden, zu Toten, und die Rolling Stones sangen »We Love You« in einer sarkastischen Liebeserklärung an ihre Richter. Jane Fonda war »Barbarella«, Twiggy das erste magersüchtige Supermodel, Muhammad Ali verweigerte den Kriegsdienst in Vietnam. »Welche Oper«, sinniert der junge Sänger Jonah in Powers Roman vor den Fernsehnachrichten, »könnte es mit dem hier aufnehmen?«

In der Bundesrepublik regierte eine Große Koalition, und es lag näher als heute, außerparlamentarische Opposition auf der Straße zu betreiben. Die Bürger wollten Ruhe nach Entbehrung und Wiederaufbau. Die antiautoritären Studenten dagegen wollten Krach - was für ein Stück!

Die Mitspieler der Kommune 1

Das Kommune-Experiment war in dem Landhaus der Eltern von Lothar Menne - später Verleger von Hoffmann und Campe - am Kochelsee südlich von München vorbereitet worden. Weltbefreiungsdiskussionen mit Alpenblick, nachmittags Wanderungen, abends wieder die Weltrevolution, dazwischen erhitzte Debatten über die deutsche Mannschaft während der WM in England.

Sieben Männer und drei Frauen (andere Zeugen erinnern andere Zahlen). Der intensive Rudi Dutschke, der didaktische Bernd Rabehl, vor allem Dieter Kunzelmann, der Waldschrat mit dem roten Bart und den rollenden Augen, der das skizzierte, was er später in seinen »Notizen zur Gründung revolutionärer Kommunen in den Metropolen« niederlegte. Es gehe bei dem Experiment um die Sprengung »bürgerlicher Abhängigkeitsverhältnisse (Ehe, Besitzanspruch, Frau und Kind etc.), Destruierung der Privatsphäre und aller uns präformierenden Alltäglichkeiten«.

Der junge Menne gruselte sich. Er konnte sich nicht vorstellen, mit Kunzelmann unter einem Dach zu wohnen.»Ich kannte Kunzelmann aus Münchens linker Szene. Der ließ sich abends immer die Stapel geklauter Bücher vorführen. Wer den kleinsten hatte, war kein guter Genosse.« Statt zur Kommune meldete sich Menne dann zu den Guerilleros nach Guatemala ab. »Alles war besser als Kunzelmann.«

Auch Dutschke wollte nicht mitmachen. Er war von einer merkwürdigen Keuschheit. Darüber hinaus war seine amerikanische Frau Gretchen ständig eifersüchtig. Überhaupt fanden sich später ernsthaft nur zwei Frauen, die mitzogen, und diese dachten überhaupt nicht daran, freie Liebe zu praktizieren.

Heute ist jeder Neuköllner Swinger-Club sexuell befreiter als es die Kommune 1 je war. Und natürlich geheimnisloser. Die Inszenierungen der Kommune waren ironisch, und sie verstanden es, die Phantasien der bürgerlichen Gesellschaft zu beschäftigen, und das war viel wichtiger.

Sie schonten sich durchaus nicht. Während sich in San Franciscos Haight- Ashbury-Viertel die bekifften Hippies in den Armen lagen und in London die Miniröcke Mary Quants noch ein bisschen kürzer wurden, begann das Jahr 1967 für die deutsche Kommune 1 mit einer gründlichen Gehirnwäsche.

Man verhörte einander, kramte das Innerste nach außen, legte Geheimnisse offen, eine barbarische Kette von Beichten und Zusammenbrüchen, denn der alte Mensch mit seinen Verhärtungen und Ängsten sollte weggesprengt werden.

Man kann sich das Kopfschütteln der Beamten bei der Lektüre dieser Protokolle vorstellen, die später sichergestellt wurden. Teufel etwa schwor, »zu keiner Frau mehrein Verhältnis anfangen, völlig andere Sprechweise, keine kurzen aggressiven Bemerkungen mehr«. Für die Übrigen galt: »Jeder muss seine individuelle Situation auf den allgemeinen Stand bringen. Schweiger müssen reden und warten nicht mehr darauf, dass ihr Problem verhandelt wird.« Eine Devise, die zu allen Zeiten gut ist.

In der Analyse der individuellen Lebens- und Leidensgeschichten wollte man, so Langhans, endlich auch mit dem Erbe der Väter fertig werden. »Schließlich war die Gesellschaft auf Leichenbergen gegründet, über die keiner sprach.«

Mit den Auschwitz-Prozessen war der Holocaust, waren die Nazi-Verbrechen zwar Thema geworden, aber keines, das zu tieferen Erschütterungen geführt hätte. Mit der Kommune 1 brachte sich nun die Generation in Stellung, die der Historiker Heinz Dieter Kittsteiner die »hypermoralische« nannte, mit dem Auftrag, der »involvierten« den Prozess zu machen, um schließlich die »normalisierte« vorzubereiten.

Tatsächlich waren viele Richter und Ermittler, mit denen es die Kommunarden zu tun bekamen, aktive NSDAP-Mitglieder gewesen, ebenso wie große Teile der Wirtschafts- und Politik-Eliten verstrickt gewesen waren. Der Politologe Wolfgang Kraushaar wundert sich, »wie mit einem solchen Personal eine neue demokratische Ordnung aufgebaut werden konnte«.

Kunzelmann, Teufel, Langhans bildeten die öffentlichkeitswirksame Kern-Trias der Kommune. Volker Gebbert und Ulrich Enzensberger gaben sich radikal, blieben aber blass. Dazu die Frauen Dagmar Seehuber und Dorothea Ridder. Unter ihnen allen war Dieter Kunzelmann, Sohn eines Bamberger Sparkassendirektors, der unumstrittene Chef. Er hatte bereits mit dem späteren Modephilosophen Jean Baudrillard unter Seine-Brücken genächtigt, er war willensstark und absolut wahnsinnsgestählt.

Rainer Langhans war der introvertierte Typ. Er war in der DDR aufgewachsen. Erinnert sich an eine glückliche Kindheit, an den Wechsel in den Westen, als sein Vater, ein charmanter Abenteurertyp, wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten den Standort wechseln musste.

Seine Internatszeit hatte er bei den Herrnhutern verbracht. Bei dieser ursprünglich böhmischen Freikirche, erzählt Langhans, sei es früher zum öffentlichen Beischlaf im Kreis der Gemeinde gekommen. Für Langhans hatte also das spätere öffentliche Matratzenlager mit Uschi Obermaier nicht nur politische, sondern auch rituelle Konnotationen.

Er war der Einzige der Kommunarden, der die Bundeswehr absolviert hatte. Er war der Einzige, der sich tatsächlich mit Waffen auskannte und der »gerade deshalb« nie eine in die Hand nahm. Er studierte Psychologie und stieß zur Kommune aus Liebeskummer. »Ich hatte einen völligen Zusammenbruch, und da war die Kommune genau die richtige Anlaufstation.«

Fritz Teufel, der Publizistik-Student, war sicher der Entrückteste von allen. Er lebte seine eigene Wirklichkeit. Er träumte sich in die Figur des Trödlers Aaron Wassert…

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