Braucht das Gehirn Zucker, um richtig zu funktionieren? Eine umfassende Analyse
Zucker, oft als das süße „weiße Gold“ bezeichnet, ist in unserer modernen Ernährung allgegenwärtig. Er kommt in vielen Formen vor und ist mittlerweile in fast jedem Lebensmittel zu finden. Zucker löst nicht nur Glücksgefühle aus und liefert uns schnell verfügbare Energie, sondern ist auch einer der Hauptverursacher zahlreicher Krankheiten, wie Diabetes und Herzerkrankungen. Doch was macht Zucker so unwiderstehlich und wie beeinflusst er unser Gehirn?
Die Allgegenwärtigkeit des Zuckers
Ob in Süßigkeiten, Obst oder sogar als Stärke im Getreide: Zucker scheint allgegenwärtig zu sein, und wir können einfach nicht genug davon bekommen. Tatsächlich lag der Pro-Kopf-Verbrauch von Zucker in Deutschland im Jahr 2022/23 bei rund 33 Kilogramm, was etwa 90 Gramm Zucker pro Tag entspricht. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollte die empfohlene Zuckermenge pro Tag jedoch unter 50 Gramm liegen. Dieser hohe Zuckerkonsum wirft die Frage auf, wie sich Zucker auf unseren Körper und insbesondere auf unser Gehirn auswirkt.
Der Einfluss von Dopamin
Der Verzehr von zuckerhaltigen Lebensmitteln aktiviert unser dopaminerges System, das im Gehirn für Motivation und Belohnung zuständig ist. Dies führt zur Ausschüttung von Dopamin. Wenn wir Zucker zu uns nehmen, steigt der Dopaminspiegel vorübergehend an. Das freigesetzte Dopamin verstärkt das Verhalten, das zu dieser Belohnung geführt hat, wie zum Beispiel Essen. Außerdem beeinflusst Dopamin, wie sehr wir uns anstrengen, um eine Belohnung zu erhalten.
Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Stoffwechselforschung hat gezeigt, dass unmittelbar nach dem Verzehr von zuckerreichen Lebensmitteln Dopamin ausgeschüttet wird, noch bevor die Nahrung den Magen erreicht. Je nach individuellem Verlangen wird sogar zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich viel Dopamin ausgeschüttet. Die Gehirne der Probanden mit einem stärkeren Verlangen nach der zuckerreichen Nahrung schütteten direkt nach dem Verzehr eine größere Menge an Dopamin aus, jedoch wieder weniger, wenn die Nahrung den Magen erreicht hatte.
Ein ständiger Zuckerkonsum kann dazu führen, dass wir immer mehr Zucker essen wollen. Eine Studie der Forschungsgruppe Tittgemeyer zeigte, dass Probanden, die über acht Wochen lang täglich einen zucker- und fettreichen Pudding aßen, stärker auf zuckerreiche Nahrung reagierten als diejenigen, die einen Pudding mit der gleichen Kalorienzahl, aber deutlich weniger Fett und Zucker verzehrten. Die Forschenden maßen die Aktivität bestimmter Hirnregionen und fanden heraus, dass das dopaminerge System besonders stark bei den Probanden aktiviert wurde, die den fett- und zuckerreicheren Pudding aßen. Der erhöhte Zuckerkonsum veränderte die neuronalen Schaltkreise so, dass zuckerreiche Nahrung bei den Probanden eine stärkere belohnende Wirkung hatte und sie nach dem Experiment zucker- und fettreiche Lebensmittel positiver bewerteten.
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Das Gehirn als "Zuckervielfraß"
Der Zuckerstoffwechsel ist ein fein austariertes System mit vielen Akteuren: Magen, Darm und Leber dienen als Werkstätten und Umschlagplätze, Enzyme und Hormone fungieren als Spalt- und Aufbauwerkzeuge, für die Kommunikation ist das Nervensystem zuständig, den Transport übernimmt der Blutkreislauf. Doch die wichtigste Instanz, die dieses hochkomplexe Gefüge steuert, sitzt ganz oben, in der Chefetage des Körpers, im Gehirn. Hier laufen alle Fäden zusammen, hier werden die Prozesse angestoßen und überwacht, Messwerte analysiert und Zuckerkontingente angewiesen.
Das Gehirn ist nicht nur die Schaltstelle der gesamten Glucoseliefer- und Versorgungskette, sondern auch ihr eigensüchtiger End- und Hauptverbraucher, ein echter Zuckervielfraß. Kein anderes Organ verbraucht mehr Energie. Obwohl es mit einem Durchschnittsgewicht von rund 1.400 Gramm nur etwa zwei Prozent des Körpergewichts ausmacht, konsumiert das Gehirn im Normalbetrieb bis zu 140 Gramm Glucose täglich. Das entspricht etwa 75 Prozent der in allen Körperzellen verbrauchten Glucosemenge. In Stresssituationen schnellt der Zuckerbedarf sogar bis auf 95 Prozent des Gesamtverbrauchs hoch.
Um seine Versorgung zu sichern, agiert das Gehirn wie ein egomaner Despot. Es schanzt sich den Löwenanteil der insgesamt verfügbaren Zuckermenge ohne jeden Skrupel selbst zu. Dazu nutzt es einen Mechanismus, den der Lübecker Medizinprofessor Achim Peters 1998 erstmals als Brain-Pull beschrieben und seither immer genauer erforscht hat. Das von ihm entdeckte Pull-Prinzip stellt die bisherigen Funktionsmodelle der Zuckerverteilung buchstäblich auf den Kopf. Peters und sein Forschungsteam fanden heraus, dass sich das Gehirn nicht mit einer passiven Glucosezuteilung abspeisen lässt. Es holt sich, was es braucht.
Das Hirn löst einen Pull aus und zieht die akut nötige Glucosemenge aktiv aus den Energiespeichern in der Leber, in den Muskeln und im Blut ab. Was wie ein ruchloser Egotrip aussieht, ist schiere Notwendigkeit: Das Gehirn kann keine Energiereserven speichern und ist auf stetig frisch zugeführte Glucose angewiesen. Schon kleinste Unterbrechungen der zerebralen Zuckerbelieferung haben dramatische Folgen: Nach zehn Sekunden kommt es zu Funktionsausfällen, danach drohen Ohnmacht und Koma, bereits nach wenigen Minuten treten irreversible Hirnschäden ein. Das Gehirn kann also gar nicht anders: Es muss im Interesse des Gesamtsystems unbedingt seine unterbrechungsfreie und bedarfsgerechte Vorzugsversorgung mit Zucker aufrechterhalten. Dafür sorgt der Brain-Pull.
Ausgelöst und geregelt wird der aktive Glucoseanfordungsmechanismus mithilfe einer raffinierten, hormongesteuerten Dreifachstrategie. Sinkt der Glucosespiegel des Gehirns, regt es zunächst die Ausschüttung der Stresshormone Cortisol und Adrenalin an. Die Agenten des Stresssystems blockieren unverzüglich die gesamte Insulinproduktion der Bauchspeicheldrüse. Aufgrund der Insulinblockade können Organe, Muskeln und Zellen keine Glucose mehr aufnehmen. Gleichzeitig wird die Leber durch eine erhöhte Glucagonausschüttung angeregt, vermehrt eingelagerten Speicherzucker (Glykogen) freizusetzen. Schließlich wird noch parallel dazu der Blutfluss zum Kopf verstärkt. Damit läuft die Notversorgung auf vollen Touren. Die gesamte vermehrt produzierte und angelieferte Glucose steht nun allein dem Zentralorgan zur Verfügung. Sobald die zerebralen Glucosesensoren wieder einen ausreichenden Zuckerpegel registrieren, deaktiviert das Gehirn den Brain-Pull und dämpft das Stresssystem.
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Wie Zucker im Körper wirkt
Zucker ist Energie, die unser Körper für alle Tätigkeiten braucht, wie zum Beispiel Atmen, Denken und Laufen. Wenn wir essen und trinken, setzt der Körper mit seinem Verdauungsprozess ein. Dabei geht es dem Körper vor allem darum, Energie und wichtige Nährstoffe zu gewinnen. Der Körper ist in der Lage, Zucker aus allem, was wir zu uns nehmen, zu gewinnen. Die winzigen Zuckerbestandteile, die der Körper abspaltet, schickt er über das Blut in die verschiedenen Zellen, genau dahin, wo gerade Energie gebraucht wird. Das Hormon Insulin hilft unserem Körper dabei. Es ist dafür da, das Blut vom Zucker zu befreien und den Zucker weiter zu den Zellen zu schicken. Nehmen wir also Zucker auf, erhöht sich der Insulinspiegel und reguliert sich anschließend wieder.
Wichtig ist: Der Energielieferant für die Zellen ist ausschließlich Glukose, also Traubenzucker. Es ist die Zuckerart, ohne die kein Mensch leben kann.
Neben dem Zuckerstoffwechsel, der am Ende auch die Gehirnzellen versorgt, gibt es noch eine andere Reaktion des Gehirns auf Süßes. Sie beginnt bereits vor der Nahrungsaufnahme. Schon beim Anblick von Süßem meldet sich das Belohnungszentrum im Gehirn und verbreitet Vorfreude. Anschließend geben die Sinnesrezeptoren auf der Zunge positive Signale an das Gehirn und dies meldet zurück: „Bitte mehr davon!“ Dabei irrt unser Gehirn sich nicht, denn es ist von Glukose abhängig. Das Belohnungszentrum kann aber beim Anblick und beim Geschmack von Süßem nicht unterscheiden, ob die Zuckerart die richtige ist.
Zuckerreiche vs. zuckerfreie Ernährung
Unser Körper kann Glukose selbst gewinnen und holt den benötigten Zucker aus kohlehydratreichen Nahrungsmitteln. Dazu gehören zum Beispiel Kartoffeln, Vollkornbrot und Reis. Die direkte Zuckeraufnahme in Form von Haushaltszucker oder gesüßten Speisen und Getränken braucht unser Körper daher nicht.
Nehmen wir weniger Kohlenhydrate auf, aus denen der Körper Zucker gewinnt, dann nutzt er seine Speicher. Dabei werden zuerst die kurz- und mittelfristigen Speicher geräumt. Kommt dann immer noch keine ausreichende Kohlehydratversorgung zustande, wird auch Fett umgewandelt und die Folge ist in der Regel die Gewichtsabnahme.
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Nehmen wir wiederum mehr Zucker auf, egal in welcher Form, entscheidet der Körper anhand der Zuckerart, was er damit macht. Diese 3 Möglichkeiten gibt es:
- Glucose wird in den kurz- und mittelfristigen Speichern abgelegt. Sie befinden sich in der Leber und der Niere. Diese Organe haben die Aufgabe, aus dem Speicher die Energieversorgung der Zellen zu gewährleisten. Zum Beispiel nachts im Schlaf, wenn wir keine Energie aufnehmen, aber viele Körperfunktionen weiterlaufen.
- Fructose, das heißt Fruchtzucker, belastet den Dünndarm. Fruchtzucker ist zum Teil in gesüßten Lebensmitteln, Säften und Obst enthalten. Zu viel davon verursacht manchmal Blähungen. Außerdem aktiviert Fruchtzucker nicht das Appetitzentrum in unserem Gehirn und macht damit nicht satt. Übermäßig viel Fruchtzucker kann zu einer sogenannten Fettleber führen.
- Alle Arten von Zucker tragen zur Bildung von Fett bei, wenn es zu viel davon gibt. Sind die Speicher in Leber und Niere überfüllt, wird Zucker in Fett umgewandelt und angelagert, zum Beispiel im Blut und in unseren Organen.
Ab wann Zucker schädlich ist, entscheidet die Menge, die wir zu uns nehmen.
Zuckerarten und Zuckerverstecke
Glukose ist lebensnotwendig. Doch unsere Lebensmittel enthalten noch viele andere Zuckerarten. Sie sind versteckt, denn in den Inhaltsangaben steht meist nicht einfach Zucker. Stattdessen tauchen da viele andere Namen auf. Einige der gängigsten Bezeichnungen für verschiedene Zucker sind:
- Saccharose: Saccharose ist einer der Inhaltsstoffe von Haushaltszucker, den wir alle kennen. Er wird aus Zuckerrohr oder Zuckerrüben gewonnen.
- Dextrose: Dextrose ist das Gleiche wie Glukose. Der Körper kann es selbst gewinnen und findet es außerdem in Früchten und Honig.
- Raffinose: Raffinose ist ein sogenannter Dreifachzucker, der aus Galactose, Glucose und Fructose besteht. Raffinose findet sich in Hülsenfrüchten wie Erbsen oder Bohnen.
- Fruktose: Fruktose ist Fruchtzucker, wie er in Äpfeln und Birnen vorkommt, und auch zum Teil in Haushaltszucker.
Für alle Zuckerarten gilt: Keine davon muss dem Körper extra gegeben werden. Auch nicht Glukose, etwa in Form von Traubenzucker. Unser Körper ist so clever, dass er alles Wichtige aus einer ausgewogenen Ernährung rausholen kann. Nehmen wir dem Körper diese Aufgabe ab, gerät der Stoffwechsel durcheinander.
Wie viel Zucker ist gesund?
Da wir dennoch gern süß essen und trinken, gibt es Richtwerte. Die WHO empfiehlt, dass die Aufnahme von Zucker, zum Beispiel in Form von Haushaltszucker und Fruchtsäften, nicht mehr als 25 bis 50 Gramm pro Tag sein sollte. In Deutschland nehmen die Menschen durchschnittlich rund das Doppelte davon zu sich. Nehmen wir zu viel Zucker zu uns, dann haben wir es mit einer langen Reihe von Folgen zu tun. Dazu gehören unter anderem:
- Karies
- Gewichtszunahme
- Müdigkeit, Antriebs- und Energielosigkeit
- Nervosität, Schlafstörungen, Konzentrationsschwäche, Depressionen, Angstzustände
- Magen- und Darmprobleme wie Völlegefühle, Blähungen, Durchfall und Verstopfung
- Haarausfall und Hautkrankheiten
- Pilzbefall
Obwohl wir viele dieser Folgen kennen, gibt es einen scheinbar unstillbaren Zuckerhunger. Das hat zwei Gründe:
- Unser Gehirn ist noch von Urzeiten so programmiert: Zuckerreiche Lebensmittel brauchen wir und sie lassen sich gut verwerten. Dieses Signal ist intuitiv vorhanden, auch wenn die Urzeiten schon lange vorbei sind und es damals kaum Süßes gab, wie wir es heute kennen.
- Hunger ist ein Signal, mit dem unser Körper uns sagt, dass ihm was fehlt. Meistens sind es Vitamine, Mineralien und andere wertvolle Sachen. Durch Zucker wird, gerade weil er kaum wertvolle Stoffe enthält, das Signal lauter - erst recht, wenn der Insulinspiegel nach der Zuckerverwertung wieder sinkt. Da uns unser Körper mit dem Hunger nicht genau sagen kann, was er braucht, nehmen wir im Zweifelsfall noch mehr Zucker zu uns.
Übrigens: Für Kinder wie auch für Erwachsene ist es wichtig, eine gute Ernährung zu lernen und ohne überflüssigen Zucker das Leben zu genießen. Kinder sind dabei anfälliger für die Folgen von Zucker. Denn sie befinden sich in der Entwicklung und ihr Geschmackssinn bildet sich in den ersten Lebensjahren. Mögliche Krankheiten und eine von Anfang an übersüßte Ernährung wirken bis ins Erwachsenenalter.
Süße Legenden: Was kann Zucker?
Es gibt viele Mythen zum Thema Zucker. Ob sie stimmen oder nicht? Wir haben näher hingeschaut:
- Zucker kann man einfach ersetzen. Ja und Nein. Es gibt viele Zuckerersatzstoffe. Je nach Art des Ersatzes mit verschiedenen Vor- und Nachteilen. Wichtig ist, dass Sie sich eingehend informieren, bevor Sie entscheiden, wie und womit Sie Zucker ersetzen. Auch ärztlicher Rat oder eine Ernährungsberatung kann Ihnen weiterhelfen.
- Brauner Zucker ist gesünder. Nein, es bleibt Zucker. Er hat aber mehr Mineralstoffe, wenn es zum Beispiel Vollrohrzucker ist. Es gibt aber auch nachträglich sogenannten gesund gefärbten Zucker.
- Zucker macht süchtig. Das ist medizinisch umstritten. Er wird von Ärztinnen und Ärzten zur Wundbehandlung eingesetzt und gibt Bakterien keine Chance.
- Man kann ohne Zucker einkochen und einwecken. Ja, man braucht Gelierzucker nicht. Beim Einkochen von Kompott wirkt die hohe Temperatur antibakteriell. Beim Einwecken wird Verdickungsmittel wie Agar Agar oder Pektin verwendet.
- Zuckerfreie Lebensmittel sind wirklich ganz ohne Zucker. Natürlich gibt es (fast) zuckerfreie Nahrung. Dazu gehört alles, was frisch genossen wird, zum Beispiel rohes Gemüse. Die Inhalte von Verpackungen auf denen zuckerfrei steht, verwenden meist einen Ersatz und erzeugen so den süßen Genuss.
Gesunde Ernährung mit und ohne Zucker
Die AOK-Gemeinschaft engagiert sich dafür, dass unser Zuckerkonsum achtsamer wird und wir unserem Körper Gutes tun. Mit diesem Ziel findet der Zuckerreduktionsgipfel statt, wo Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Gesundheitsverbänden, Lebensmittelindustrie und -handel Lösungen entwickeln. Inspirationen für gesunde Ernährung und ein gutes Maß an Zucker von klein auf hat die AOK Sachsen-Anhalt zusätzlich für Sie:
- Ausgewogene Rezepte mit regionalen Zutaten
- Gesundheitskurse zu Ernährung und Balance, die zweimal im Jahr bezuschusst werden
- Kostenfreies Kita-Frühstück für Kita-Kinder
Zucker und Fette verändern das Gehirn
Zucker und Fette verändern unser Gehirn, sodass wir immer mehr davon essen. Das zeigt eine Studie des Max-Planck-Instituts. Das Verlangen nach ungesundem Essen begünstigt Diabetes und Adipositas.
Das Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung in Köln konnte zeigen, dass sich das Gehirn durch den regelmäßigen Konsum von stark fett- und zuckerhaltigen Lebensmitteln verändert. Die Folge: Es befiehlt uns quasi, die ungesunden Lebensmittel zu bevorzugen. Wir wollen mehr davon.
Zwischen Gehirn und Darm gibt es eine direkte Verbindung: Erreicht Nahrung den Dünndarm, registrieren unterschiedliche Sensoren, ob Zucker und Fett in der Nahrung enthalten sind. Diese Information wird über verschiedene Nervenverbindungen ans Gehirn weitergeleitet. Die Signale kommen im Belohnungszentrum des Gehirns an, sorgen für ein gutes Gefühl und lösen ein Verlangen nach mehr aus.
Für die Studie haben zwei Gruppen normalgewichtiger Probandinnen und Probanden acht Wochen lang zusätzlich zu ihrer normalen Nahrung täglich einen kleinen Pudding gegessen. In beiden Gruppen hatte der Pudding gleich viele Kilokalorien. Aber in der einen Gruppe enthielt der Pudding viel Fett und viel Zucker, in der anderen stattdessen viel Eiweiß. Vor und nach den acht Wochen bekamen die Probanden Milchshakes zu trinken, die unterschiedlich viel Fett und Zucker enthielten. Dabei wurden sie im MRT untersucht, um zu sehen welchen Effekt diese fett- und zuckerhaltigen Speisen auf ihr Gehirn hatte. Diese Empfindung spiegelte sich auch in den Aufnahmen der Gehirne der Studienteilnehmenden wider: Das Belohnungssystem war bei den auf Fett und Zucker trainierten Teilnehmenden besonders stark aktiviert. Dort hatten sich durch den regelmäßigen Konsum der Puddings offenbar neue Nervenverbindungen entwickelt. Die Probandinnen und Probanden hatten dadurch ein offensichtlich stärkeres Verlangen nach fetthaltigen und süßen Speisen erlernt.
Diese Veränderungen der Hirnnetzwerke sind anhaltend. Das bedeutet, sie könnten dafür sorgen, dass Menschen zukünftig unbewusst immer die Lebensmittel bevorzugen, die viel Fett und Zucker enthalten. Das könnte eine Gewichtszunahme begünstigen. Die Lust nach Süßem und Fettigem wird von unserer westlichen Ernährung bedient. Vor allem Fast Food und Fertiggerichte haben beides gleichzeitig: viel Fett und viel Zucker. In der Natur gibt es eigentlich keine Nahrungsmittel, die sowohl stark fett- als auch zuckerhaltig sind.
Hat sich das Gehirn an stark fett- und zuckerhaltige Speisen gewöhnt, will es nicht nur immer mehr davon, sondern lehnt auch Speisen mit weniger Fett oder Zucker eher ab. Jeder Mensch kommt zwar mit einer angeborenen Vorliebe für Süßes zur Welt, aber wenn diese Vorliebe durch Gewöhnung immer weiter verstärkt wird, schmecken gesunde Lebensmittel irgendwann nicht mehr.
Hat sich das Gehirn erst einmal an viel Fett und Zucker gewöhnt, lässt sich dies nicht so schnell wieder auflösen. Denn Ernährungsmuster, die sich über viele Jahre eingeschliffen haben, sind schwer zu eliminieren. Aber Körper und Gehirn können auch wieder "umprogrammiert" werden, sich wieder an weniger fett- und zuckerhaltige Lebensmittel gewöhnen.
Was macht Zucker im Gehirn?
Zum einen schädigen hohe Blutzuckerspiegel die Hirngefäße und führen zu Ablagerungen an den Gefäßwänden. Das kann zu verschiedenen Einschränkungen führen - je nachdem, welcher Teil des Gehirns unterversorgt ist - und am Ende sogar eine gefäßbedingte (vaskuläre) Demenz nach sich ziehen. In Deutschland erkranken jährlich etwa 250.000 Menschen an einer Demenz, davon 15 bis 25 Prozent an einer gefäßbedingten Demenz.
Hinzu kommt, dass komplexe Zuckermoleküle im Gehirn, sogenannte Glykosaminoglykane, womöglich auch direkt die geistige Leistung einschränken können. Neue Daten deuten darauf, dass sie die Funktion der Synapsen, den Schaltstellen zwischen den Nervenzellen und somit die neuronale Plastizität beeinträchtigen. Das ist die Fähigkeit von Nervenzellen und Gehirnarealen, sich anzupassen und bei Bedarf zu erweitern.
Bereits vor 20 Jahren hatte eine Studie darauf hingedeutet, dass eine fett- und zuckerreiche Kost die neuronale Plastizität stört. Langfristig beeinträchtigte das auch die Funktion unseres Gedächtnisareals im Gehirn, den Hippocampus.
Außerdem gibt es eine indirekte hirnschädigende Wirkung von zu hohem Zuckerkonsum auf das Gehirn über einen Diabetes mellitus. Seit den 90er Jahren ist bekannt, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes ein deutlich erhöhtes Demenzrisiko aufweisen. Man nimmt an, dass der Glukose-Stoffwechsel auch in den Neuronen gestört sein und so zur Entstehung der Alzheimer-Erkrankung beitragen könnte.
Ein bewusster, möglichst geringer Zuckerkonsum ist daher ratsam. Leider fällt das vielen Menschen schwer - und die Gründe dafür sind ebenfalls im Gehirn zu verorten. „Das könnte der Grund dafür sein, dass manche Menschen nach einem Stück Schokolade schnell mal die ganze Tafel aufgegessen haben“, sagt Prof. Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung. „Es ist sinnvoll, durch weitgehenden Verzicht auf Zucker diesem Teufelskreis zu entgehen“, erklärt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). „Die Anstrengung lohnt sich. Hirnstiftung und DGN unterstützen daher die politische Forderung, Steuer auf besonders zuckerhaltige Getränke zu erheben.
Der deutsche Zuckerverbrauch lag 2021/22 bei über 33 Kilogramm pro Kopf - und war damit fast doppelt so hoch wie empfohlen. Bei einem durchschnittlichen Kalorienbedarf pro Tag von 2.000 Kilokalorien entspricht dieser Wert 50 Gramm pro Tag, also 18 kg im Jahr. Dazu zählt nicht nur der zugesetzte Zucker, sondern auch der natürlich enthaltene, wie etwa in Früchten, Honig oder Säften. Doch auch viele andere Lebensmittel enthalten versteckten Zucker, wie Joghurts oder Tomatenketchup.
Als Zucker gelten in der EU alle sogenannten Mono- und Disaccharide, also Ein- und Zweifachzucker. Anders als häufig vermutet und vom Bundesernährungsministerium unterstellt wird, gibt es keine Notwendigkeit, Zucker als Lebensmittel aufzunehmen. Richtig ist: Das menschliche Gehirn benötigt etwa 130 Gramm vom Einfachzucker Glucose am Tag. Der Körper ist jedoch in der Lage, diese Glucose aus Polysacchariden (Stärke) aufzuspalten, die beispielsweise in Brot oder Nudeln enthalten ist. Von einer hohen Zufuhr von Zucker wird abgeraten, da dies die Entstehung von Übergewicht, Fettleibigkeit und andere chronische Erkrankungen fördern kann.
Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, nicht mehr als 10 Prozent der täglichen Energiemenge durch sogenannte „freie Zucker“ aufzunehmen, besser noch wären maximal 5 Prozent. Freie Zucker sind alle in Form von Mono- oder Disaccharide zugesetzten Zucker sowie Zucker aus Honig, Sirup und Säften. Die Amerikanische Herzgesellschaft (American Heart Association) empfiehlt für Kinder und Jugendliche maximal 25 Gramm zugesetzte Zucker am Tag. Zudem hat sie eine konkrete Empfehlung für den Verzehr von zuckergesüßten Getränken durch Kinder und Jugendliche: maximal 240 Milliliter pro Woche. Von dieser Empfehlung ist der tatsächliche Verzehr weit entfernt. Jungen zwischen 12 und 17 Jahren konsumieren in Deutschland durchschnittlich knapp einen halben Liter (484 Milliliter) zuckergesüßte Limonaden pro Tag. Es ist wenig verwunderlich, dass gerade Kinder und Jugendliche sich unausgewogen ernähren: Die Lebensmittelwirtschaft betreibt gezieltes Marketing mit Comicfiguren und Fußballstars, was nachweislich deren Geschmacksvorlieben beeinflusst.
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