Deliktsrecht in England: Eine umfassende Analyse
Das englische Deliktsrecht, auch bekannt als Tort Law, ist ein komplexes und dynamisches Rechtsgebiet. Dieser Artikel beleuchtet die Grundlagen des englischen Deliktsrechts, seine Entwicklung im Laufe der Zeit und vergleicht es mit dem deutschen Recht.
Einführung in das englische Deliktsrecht
Das englische Deliktsrecht ist kein einheitliches System, sondern eher eine Sammlung spezifischer torts, die jeweils eigene Regeln und Voraussetzungen haben. Ein tort ist eine zivilrechtliche Verletzung, für die der Geschädigte Schadensersatz verlangen kann. Im Gegensatz zum deutschen Recht, das ein abstraktes, der Haftung zugrunde liegendes Prinzip kennt, handelt es sich beim englischen Recht um ein law of torts. Jeder tort ist ein eigener, spezifischen Regeln unterworfener Haftungsgrund für die Verletzung eines bestimmten Interesses. Fällt eine Schädigung nicht in die Grenzen eines bestimmten torts, kann kein Ersatz verlangt werden.
Die Entwicklung des Tort of Negligence
Einer der flexibelsten Tatbestände im englischen Haftungsrecht ist der tort of negligence (Fahrlässigkeit). Die Grundlage für diesen tort legte Lord Atkin in dem berühmten Fall Donoghue v Stevenson (1932). Er formulierte das sogenannte neighbour principle: „You must take reasonable care to avoid acts or omissions which you can reasonably foresee would be likely to injure your neighbour. Who, then, in law is my neighbour? The answer seems to be - persons who are so closely and directly affected by my act that I ought reasonably to have them in contemplation as being so affected when I am directing my mind to the acts or omissions which are called in question.“
Dieses Prinzip etablierte eine allgemeine Sorgfaltspflicht, die es ermöglichte, die Haftung für fahrlässiges Verhalten erheblich auszuweiten. Allerdings war die Entwicklung des tort of negligence nicht geradlinig. In der frühen Phase wurde die Haftung für reine Vermögensschäden, also Schäden, die nicht mit einer Verletzung von Körper oder Eigentum einhergehen, eher restriktiv behandelt.
Die Rolle des Pure Economic Loss
Nicht immer beschädigt eine mangelhafte Sache jedoch absolute Rechtsgüter des Käufers. Mitunter ist der einzige Schaden, dass die Kaufsache nicht den vertraglich zugesicherten Erwartungen entspricht. Diesem Schaden geht keine Verletzung des Eigentums oder der Person des Geschädigten voran. Der Käufer erwirbt die Kaufsache bereits als mangelhafte. Sein Schaden ist reiner Vermögensschaden.
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Die Rechtsprechung zum pure economic loss (reiner Vermögensschaden) war lange Zeit von Zurückhaltung geprägt. Das Gericht hielt den reinen Vermögensschaden, den die Klägerin dadurch erlitt, dass sie sich auf eine fahrlässige Falschangabe einer Bank verlassen hatte, für ersatzfähig, obwohl keine vertragliche Beziehung zwischen ihnen bestand. Schnell entwickelten sich - zunächst erfolglose - Tendenzen diesen Haftungsumfang auch auf fahrlässiges Verhalten auszudehnen.
Ein wichtiger Meilenstein war die Entscheidung Hedley Byrne & Co Ltd v Heller & Partners Ltd (1964). In diesem Fall erkannte das House of Lords an, dass eine Haftung für fahrlässig verursachte Vermögensschäden auch ohne vertragliche Beziehung bestehen kann, wenn eine besondere Vertrauensbeziehung (special relationship) zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten besteht.
Anfang der 1970er Jahre wurde mit den Entscheidungen Dutton v Bognor Regis District Council und Anns v Merton London Borough Council gerade im Bereich der Haftung wegen einer mangelhaften Kaufsache der Widerstand schließlich gebrochen. Beide Entscheidungen betrafen nahezu identische Sachverhalte: Verklagt wurde eine Gemeinde, die ihre bauaufsichtsrechtlichen Pflichten bezüglich neu gebauter Wohnhäuser vernachlässigt hatte. Errichtet und verkauft wurden diese Häuser von privaten Baugesellschaften. Nach deren Erwerb traten infolge mangelhafter Fundamente - Mängel, die bei sorgfältiger Bauaufsicht hätten vermieden werden können - Schäden an der Bausubstanz auf. Zwar äußerte sich der Schaden in körperlicher Form, doch war diese nur Folge des eigentlichen Grundes, der ursprünglichen Mangelhaftigkeit des Gebäudes. Der Schaden beruhte darauf, dass das Haus nicht den Erwartungen der Käuferin entsprach. Er war somit reiner Vermögensschaden. Dies stellte die Gerichte vor zwei Probleme: Nach dem Hedley Byrne-Prinzip war ein solcher reiner Vermögensschaden zwar grundsätzlich ersatzfähig, doch fehlte das eine duty of care begründende Vertrauen. Um den Schaden dennoch ersetzen zu können, verzichteten die Gerichte auf das Erfordernis des Vertrauens. Der Sache nach wandten die Gerichte das Donoghue v Stevenson-Prinzip mit den Rechtsfolgen des Hedley Byrne-Prinzips an. „[T]he position has now been reached that in order to establish that a duty of care arises in a particular situation, it is not necessary to bring the facts of that situation within those of previous situations in which a duty of care has been held to exist. Rather the question has to be approached in two stages. First one has to ask whether, as between the alleged wrongdoer and the person who has suffered damage there is a sufficient relationship of proximity or neighbourhood such that, in the reasonable contemplation of the former, carelessness on his part may be likely to cause damage to the latter?in which case a prima facie duty of care arises. Für eine einen Haftungsumfang wie nach Hedley Byrne begründende Nähebeziehung genügte nun wie nach Donoghue v Stevenson reine Vorhersehbarkeit.
Die Einschränkung der Haftung in Murphy v Brentwood District Council
Die expansive Entwicklung der Haftung für pure economic loss wurde jedoch in der Rechtssache Murphy v Brentwood District Council gestoppt. Die Rechtssache Murphy v Brentwood District Council ermöglichte es dem House of Lords schließlich, der deliktischen Haftung für Sachmängel endgültig ihre Grundlage zu entziehen. Wieder führten vom Bauunternehmer fehlerhaft geplante und gelegte Fundamente zu Schäden an der Bausubstanz, wieder hätte die Gemeinde bei Besichtigung der Pläne einschreiten müssen und wieder wurde die Gemeinde auf Schadensersatz verklagt. Das House of Lords entschied, dass reine Vermögensschäden, die durch Mängel an einem Gebäude entstehen, nicht deliktisch ersetzt werden können. Es argumentierte, dass die Haftung für solche Schäden primär dem Vertragsrecht zuzuordnen sei. Eine deliktische Haftung würde das Vertragsrecht untergraben und zu einer unkontrollierten Ausweitung der Haftung führen.
Deliktsrechtliche Haftung für Sach- und Personenschäden
Wie nach englischem Recht haftet der Verkäufer dem Käufer deliktisch für Sach- und Personenschäden. Sind diese Rechtsgüter verletzt, so sind nicht nur die Substanzschäden, sondern sämtliche Folgeschäden zu ersetzen. Die deliktische Haftung derjenigen, die in der Lieferkette vor dem Endabnehmer stehen, hatte das englische Recht bereits vorgezeichnet. Diesem Weg ist der BGH 1968 in seinem Hühnerpest-Urteil gefolgt. Er gestand der Klägerin, der Betreiberin einer Hühnerfarm, einen Anspruch aus § 823 Abs.
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Deliktsrechtliche Haftung für Vermögensschäden
Wie im englischen Recht ist das Vermögen als solches deliktisch nicht geschützt. Grundsätzlich steht dem Käufer bezüglich des Mangelunwerts der gekauften Sache also kein Deliktsschutz zu. Dennoch wird ihm von den Gerichten unter bestimmten Umständen Deliktsschutz gewährt. Wegen des numerus clausus der geschützten Rechtsgüter in § 823 Abs. 1 BGB konnte kein neues Schutzgut „Vermögen“ eingeführt werden. Es stellte sich daher die Frage, unter welchen Umständen ein Schaden, der der Sache selbst anhaftet, als eine Verletzung eines geschützten Rechtsguts qualifiziert werden kann. Die heutige deutsche Praxis geht auf das Schwimmerschalter-Urteil des BGH aus dem Jahr 1976 zurück. In dem zugrundeliegenden Fall war eine Reinigungsanlage zerstört worden, weil ein von Beginn an mangelhafter Schwimmerschalter nicht funktionierte. Der BGH hielt eine Verletzung des Eigentums an der Anlage selbst für gegeben. Begründet wurde die Eigentumsverletzung damit, dass der ursprüngliche Mangel auf ein „funktionell abgrenzbares“ Einzelteil beschränkt war und sich dann auf das im übrigen mangelfreie Eigentum des Käufers ausdehnt, also „weitergefressen“ habe. Die in Murphy v Brentwood District Council als „künstlich“ zurückgewiesene complex structure theory hatte sich somit in Deutschland in Form der „Weiterfresserschäden“ etabliert. Doch wie schon das House of Lords in Murphy v Brentwood District Council sorgte sich der BGH um das Alleinstellungsmerkmal der vertraglichen Haftung: dass nur in deren Rahmen Ersatz für enttäuschte Vertragserwartungen verlangt werden kann. Anders als das House of Lords bewegte diese Sorge den BGH jedoch nicht dazu, von dieser Fallgruppe Abstand zu nehmen. Stattdessen formulierte er im Gaszug-Urteil das Haftungskriterium neu: Für eine Eigentumsverletzung komme es nicht mehr auf eine funktionelle Abgrenzbarkeit des Bestandteils von der Restsache an, sondern auf die normative Unterscheidung zwischen Äquivalenz- und Integritätsinteresse. Betrifft der Schaden das vertragliche Äquivalenzinteresse, ist der Schaden also „stoffgleich“ in der Sprache des BGH, ist eine Eigentumsverletzung im Sinne des § 823 Abs.
Vergleich mit dem deutschen Deliktsrecht
Auch im deutschen Recht werden reine Vermögensschäden gegenüber Schäden an absoluten Rechtsgütern benachteiligt: Von den drei allgemeinen Deliktstatbeständen des deutschen Rechts, § 823 Abs. 1, § 823 Abs. 2 und § 826 BGB, eröffnen nur die letzten beiden einen Anspruch auf den Ersatz reiner Vermögensschäden. Diese unterliegen aber den zusätzlichen Voraussetzungen eines Verstoßes gegen ein Schutzgesetz (§ 823 Abs. 2 BGB) bzw. gegen die guten Sitten (§ 826 BGB).
Die deutsche Rechtsprechung hat jedoch Wege gefunden, um in bestimmten Fällen auch reine Vermögensschäden im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB zu ersetzen. Ein Beispiel hierfür ist die Haftung für sogenannte "Weiterfresserschäden", bei denen ein anfänglich geringfügiger Mangel an einer Sache sich auf andere Teile der Sache ausweitet und dadurch einen größeren Schaden verursacht.
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