Die Geschichte des Niederegger Marzipans: Eine Lübecker Tradition

Marzipan und Lübeck sind untrennbar miteinander verbunden, ähnlich wie Shakespeare und Stratford oder Klopse und Königsberg. In der Hansestadt im nördlichsten Bundesland Deutschlands, Schleswig-Holstein, gibt es heute vier Marzipanhersteller, wobei "Niederegger" als Platzhirsch und Aushängeschild gilt. Schon auf dem Werksgelände in der Nähe des Trave-Kanals liegt der süßliche Duft von Mandeln und Schokolade in der Luft.

Die Rohmassenherstellung: Ein traditionelles Handwerk

Der Herstellungsprozess beginnt in der Rohmassenabteilung. Zunächst werden die aus Spanien importierten Mandeln mit Wasserdampf besprüht und gerüttelt, bis sich die braunen, dünnen Häutchen lösen. Anschließend gelangen die Mandeln über ein Förderband zur Mischwaage. Dort werden sie mit Zucker vermischt, zerkleinert und grob- und feingewalzt. Das Grundrezept für die Herstellung der Rohmasse ist denkbar einfach: zwei Drittel Mandeln und ein Drittel Zucker. Nach der Rohmassenproduktion wird kein zusätzlicher Zucker mehr hinzugefügt. Die Hersteller garantieren per Selbstverpflichtung bestimmte Qualitätsgrundsätze: mindestens 70 Prozent Marzipan-Rohmasse und höchstens 30 Prozent zusätzlicher Zucker. Die Hauptanbaugebiete für Mandeln liegen in Kalifornien (mit einer Jahresernte von rund 1,2 Millionen Tonnen) und im Mittelmeerraum (vorwiegend Spanien mit 67.000 Tonnen).

"Der Herstellungsprozess ist seit langem unverändert geblieben, da ist noch viel Handarbeit im Spiel", sagt Unternehmenssprecherin Kathrin Gaebel. Lange Zeit war Marzipan eine teure Angelegenheit, bis man Anfang des 19. Jahrhunderts entdeckte, dass es nicht Rohrzucker sein muss, sondern auch aus Rübenzucker hergestellt werden kann.

Die Produktion: Zwischen Tradition und Moderne

Die Produktionshochzeit bei Niederegger ist der Spätsommer. Während sich die Touristen an der Ostsee oder im Freibad tummeln, dreht sich hier alles um Weihnachten. Zu den 500 Festangestellten kommen dann noch einmal 250 Saisonkräfte hinzu. Bevor die Marzipanmasse in schokoladenüberzogene Weihnachtsmänner oder Marzipanbrote verwandelt werden kann, landet sie in einem von 20 rotierenden Kupferkesseln, in denen das Mandel-Zucker-Gemisch langsam geröstet wird. Unter ständigem Rühren werden jeweils 100 Kilo der körnigen Masse bei etwa 90 Grad Hitze geröstet, bis die Zuckerkristalle geschmolzen sind. Anschließend geht es in die sogenannte Anwirkerei. Dort kommt nach der Rohmassenproduktion noch ein "kleines Geheimnis" hinzu, erläutert die Unternehmenssprecherin. Nur sechs Menschen in der Firma kennen die genaue Rezeptur.

Das Geheimnis des Niederegger Marzipans

Seit über 200 Jahren besteht das Familienunternehmen mittlerweile. Der 1777 in Ulm geborene Zuckerbäcker Johann Georg Niederegger kam 1800 in die Hansestadt, erlernte hier die Marzipanherstellung und entwickelte sie weiter. Sein Marzipanrezept aus "so viel Mandeln wie möglich, so viel Zucker wie nötig, dazu noch ein Geheimnis" wird seit seinem Tode von Generation zu Generation weitergereicht. Das Originalrezept liegt nicht in einem Tresor, sondern kann angeschaut werden. Die geheimen Zutaten - außer Mandeln und Zucker - sind auf der Rückseite aufgeführt und nicht einzusehen. Heute sind vier Personen in das Geheimnis eingeweiht: Der Röstmeister, der Betriebsleiter und zwei Mitglieder der Familie Strait.

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Die gesundheitlichen Aspekte von Marzipan

"Wenn man alte Rezeptbücher anschaut, dann ist Marzipan gegen sehr vieles gut gewesen". Für die Ernährungswissenschaft heute ist klar: Das gesundheitliche Plus des Marzipans sind die Mineralstoffe aus den Mandeln, zum Beispiel Kalzium, Kalium und Magnesium. Außerdem ist es reich an Vitamin B, gut für die Konzentration. Das Mandelöl enthält mehrfach ungesättigte Fettsäuren, die den Cholesterinspiegel im Blut senken.

Die Weiterverarbeitung und der Vertrieb

Männer schaufeln den festen, hellen Rohmassenbrei in Behälter und kippen ihn in sogenannte Kühlschiffe, wo er zu dampfen beginnt. Hier wird die Masse mit Luft und Stickstoff gekühlt und in quadratische Blöcke vakuumverpackt. Danach kommt alles ins Kühllager - ein Reifeprozess, damit sich die Aromen weiterentwickeln. Wie lange, auch darüber schweigt Gaebel. Bei besonderen Produkten sitzen in einem der oberen Stockwerke Mitarbeiterinnen, die von Hand schokoladige Holstentore, also Miniaturen von Lübecks Wahrzeichen, aus Relief-Formen klopfen und mit Pinseln Lebensmittelfarbe auftragen - auch für die Weihnachtsmänner: für Mund, Mütze und Sack.

In über 50 Länder wird das "Haremskonfekt", wie Thomas Mann es einst nannte, aus der Hansestadt exportiert. 80 Prozent der Produktion bleibt allerdings dem deutschsprachigen Markt vorbehalten. Vor allem zur Weihnachtszeit ist Marzipan begehrt. 300 unterschiedliche Produkte verlassen die Niederegger Fabrik jeden Tag. Der Jahresumsatz soll bei über 100 Millionen Euro liegen, offizielle Zahlen gibt es nicht. Anfang Dezember ist die Produktion weihnachtlicher Marzipan-Artikel fast geschafft. Ob mit Ananas, Orange oder Pistazie - seit Anfang des 19. Jahrhunderts sei die Marzipanrezeptur gleich geblieben, sagt die Pressesprecherin.

Die Geschichte des Marzipans: Vom Orient nach Lübeck

"Ursprünglich kommt Marzipan aus dem vorderen Orient. Etabliert hat es sich vor allem in Deutschland und in Spanien", so Gaebel. Wo Mandeln und Zucker ihre Heimat haben, da wurde Marzipan erfunden. Der Persische Arzt Rhazes, der von 850 bis 923 lebte, schrieb ein Buch, in dem er das Gemisch aus Mandeln und Zucker als Heilmittel anpries. Als die Kreuzritter aus dem Orient zurückkehrten, brachten sie vielerlei Gewürze und orientalische Geheimnisse mit. In Venedig, Neapel und auf Sizilien wurden im 13. Jahrhundert Gewürze und Konfekt vornehmlich in kleinen Schächtelchen gehandelt. Das verzauberte Wort „Mataban“ für Schachtel wurde im Laufe der Zeit auf den Inhalt übertragen: Mazapane (ital.), Massepain (franz.), Marzipan (deutsch).

Schon im 13. Jahrhundert beschäftigte sich der bedeutende Denker und Gottesgelehrte Thomas von Aquin mit dem Genuss von Marzipan. In seinen Lehren steht für fragende und verunsicherte Geistliche geschrieben: „Marzipan bricht das Fasten nicht.“ Der große Erzähler Boccaccio macht in seinen Geschichten den Zusammenhang zwischen Leidenschaft und Marzipan deutlich. Um Marzipan als Krönung der süßen Lust hervorzuheben, wurde zu dieser Zeit die Mandelspeise mit Blattgold belegt. Die gewaltigen Hansekoggen brachten Gewürze und andere gepriesene Zutaten in den hohen Norden. Mit Zucker und Gewürzen durften aber zunächst nur Apotheker handeln. Erst später, als es den Beruf des Zuckerbäckers gab, durften die „Canditors“, wie man sie nannte, auch Marzipan herstellen.

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Die Ersten, die in Europa den Genuss der Mandelspeise Marzipan schätzen lernen konnten, waren die Könige und Wohlhabenden. Es ist überliefert, dass Königin Elisabeth I. von England, die von 1533 bis 1603 lebte, als süchtig nach allem Süßen galt. Der Begriff „königlicher Genuss“ entstand. Auch später bei den rauschenden Festen des Sonnenkönigs Ludwig XIV. von Frankreich durften riesige Tafelaufsätze mit Marzipan nicht fehlen. Alles, was das Herz begehrte; ob allerlei Früchte, Geflügel oder Wild - alles wurde möglichst naturgetreu aus Marzipan nachgebildet.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnten in den Kaffeehäusern nun auch die Bürger die feinen Mandelspeisen reichlich kosten. Mit der Gewinnung des Zuckers aus der Zuckerrübe wurden die kostbaren Süßigkeiten etwas erschwinglicher. Auch in Lübeck wurde Marzipan besonders begehrt und geschätzt.

Johann Georg Niederegger: Der Gründer

Die Lehr- und Wanderjahre führten Johann Georg Niederegger als jungen Mann von seiner Heimatstadt Ulm in die Hansestadt Lübeck zum Konditor Maret. Im Jahre 1806 konnte er sein eigenes Geschäft eröffnen. Seine Produkte konnte er an Könige und Zaren liefern. Fortan konnte er durch beste Qualität ständig den Ruf mehren.

29 Jahre alt war Johann Georg Niederegger, als er im März 1806 in einer Lübecker Zeitung eine öffentliche Erklärung abdrucken ließ: "Mit dem heutigen Tag trete ich die bisherige Conditorey des seligen Johann Gerhard Maret für meine Rechnung an, und erlaube mir, mich dem Wohlwollen der Freunde dieses Hauses, wie dem des ganzen verehrten Publiko auf das Ergebenste zu empfehlen. Ich werde allemal mein äußerstes Bestreben dahin richten, durch aufrichtige und billige Behandlung das Zutrauen zu verdienen, dessen sich meine Vorgänger mit so viel Recht rühmen konnten."

Der schwierigen Lage wegen hatte der Konditor seiner Heimatstadt Ulm sechs Jahre zuvor den Rücken gekehrt. Die Hansestadt an der Trave war zu dieser Zeit zwar auch keine reiche, aber eine wohlhabende Stadt, als Handelszentrum noch immer von Bedeutung. Hier erwies sich Johann Georg Niederegger nicht nur als guter Konditor, sondern auch als geschickter Kaufmann. Als er 1856 stirbt, hinterlässt er seinem Schwiegersohn ein weit über die Stadtgrenzen hinaus angesehenes Familienunternehmen.

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Niederegger heute: Tradition und Innovation

Heute beschäftigt Niederegger in seiner Marzipanfabrik 500 Mitarbeiter. Zwischen August und Februar kommen noch einmal bis zu 200 Saisonkräfte hinzu. Keiner von ihnen muss die Mandeln heute noch selbst schälen oder gar mit einem Reibstein zu einem Brei zermahlen. Das erledigen große Maschinen und Produktionsstraßen. Etwa 30 Tonnen Marzipan verlassen täglich die Manufaktur - durchweg so genanntes "Lübecker Marzipan", eine inzwischen von der EU und damit weltweit geschützte Herkunftsbezeichnung. Nur in der Hansestadt darf es hergestellt werden und nur in einer vorgeschriebenen Zusammensetzung.

In den Produktionshallen ist nach wie vor Handarbeit angesagt. Zum Beispiel in der so genannten Schminkabteilung, wo das ganze Jahr über Marzipanäpfel, Birnen und Bananen, Katzen, Hunde oder Elefanten in kleine bunte Kunstwerke verwandelt werden.

Holger Strait, der heute die Geschäfte in siebter Generation und gemeinsam mit seiner Frau Angelika führt, kennt den Namen jedes Mitarbeiters. Das Wort Familienunternehmen ist für die beiden ein Stück der Philosophie bei Niederegger und damit ein wichtiger Baustein des geschäftlichen Erfolgs. "Dieses große Wort immer: Wir sind eine Familie! Das wird heute nicht gern gehört. Aber ich glaube schon, dass es andere Empfindungen beim Mitarbeiter sind, als für einen Konzern zu arbeiten!" "Ich glaube schon, dass inhabergeführte Unternehmen letztlich nicht getrieben sind von Quartalsberichten oder von Börsenzahlen; dass wir eine Strategie sehr kontinuierlich um- und fortsetzen können, uns sicherlich anpassen müssen, aber nicht hektisch anpassen müssen, nur weil irgendwelche Quartalsergebnisse nicht da sind."

Mehr als 300 verschiedene Artikel hat Niederegger derzeit im Sortiment. Die schlichte Marzipankartoffel und das traditionelle Marzipanbrot gehören ebenso dazu wie Pralinen und Marzipanlikör. Ein Balanceakt zwischen Tradition und Veränderung. Viele Entscheidungen, sagt Strait, trifft er aus dem Bauch heraus. Und das in einem Umfeld, das schwieriger geworden ist: Im letzten Jahr stagnierte der Umsatz in der Süßwarenbranche erstmals. Im vergangenen Jahr konnte Niederegger den Umsatz gegen den Branchentrend um sieben Prozent steigern. Als besonders erfolgreich haben sich gerade neue Produkte erwiesen: der Marzipan-Tee zum Beispiel oder verschiedene mit Marzipan aromatisierte Kaffeesorten. Und damit der Versuch, zusätzlich zu dem Kerngeschäft mit den Klassikern auch neue, vor allem: jüngere Kunden anzusprechen. Insofern bleibt für Holger Strait und Ehefrau Angelika im Grunde nur ein Wunsch: Das eine der beiden erwachsenen Töchter die Niederegger Marzipanfabrik eines Tages weiterführt.

Das Marzipan-Museum: Eine Reise in die Geschichte

Im zweiten Obergeschoss des Cafés Niederegger wird jeder Besucher auf eine lange und interessante Zeitreise geschickt, welche die Mandelspezialität in vielen Jahrhunderten von ihrem orientalischen Ursprung bis in die Hansestadt an der Trave zurückgelegt hat. Zwölf lebensgroße Persönlichkeiten aus Marzipan können hier bestaunt werden: von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen über Thomas Mann bis hin zu Wolfgang Joop, allesamt Fans des berühmten Niederegger Marzipans. Natürlich darf hier auch nicht Herr Niederegger fehlen. Die Entstehungsgeschichte des Marzipans wird im Marzipan-Museum genau erklärt. Aber auch die Firmengeschichte des Familienunternehmens Niederegger wird dargestellt und ein wunderschöner Film über die Marzipanproduktion wird gezeigt. Der Eintritt im Marzipan-Museum ist frei.

Früher wurde Marzipan am Anfang des 18. Jahrhunderts von Apothekern als Heilmittel hergestellt. Es gelangte über den Handelsplatz Venedig nach Europa und erreichte Spanien, Portugal und schließlich auch Lübeck. Durch den Anbau von Zuckerrohr konnte Europa reichlicher mit dem Zucker beliefert werden als zuvor. Zuckerbäcker übernahmen nun den Vertrieb des Marzipans, die aus den ehemals einfach geformten Marzipan- Broten kunstvolle Gebilde und von Hand modellierte Figuren zauberten.

Das Café Niederegger: Eine Lübecker Institution

Das Café Niederegger ist nicht nur ein Besuchermagnet für Touristen. Dieses gilt seit Bestehen als wahre Institution in Lübeck und hat maßgeblich dazu beigetragen, den Ruf zu begründen, den der Lübecker Marzipan bis heute in aller Welt genießt. Dank seiner mehr als 100-jährigen Geschichte ist das Café Niederegger sogar zu einem heimlichen Wahrzeichen der Hansestadt geworden. Auch ein Besuch im Arkadencafé lohnt sich für die Besucher - können sie sich hier doch von kulinarischen Köstlichkeiten mit Blick auf das historische Rathaus der Hansestadt Lübeck verwöhnen lassen.

Niederegger: Ein dynamisches Unternehmen

Die Firma Niederegger ist ein sehr dynamisches Unternehmen, das seinen Kunden immer wieder diverse Aktionen sowie neue Produkte bietet. Zur „Lübecker Museumsnacht“ bot das hauseigene Marzipanmuseum bis zur späten Abendstunde kostenlose Führungen an. Niederegger veranstaltet immer wieder Gewinnspiele. Gewinnbringend kann auch die Bewerbung als Marzipantester für die „Kreation des Jahres“ sein. Oftmals werden auch Genusstipps und Rezepte ausgegeben. Stets werden auch saisonal passende Köstlichkeiten angeboten: So gibt es in der Weihnachtszeit ein spezielles Sortiment, zu dem unter anderem auch ein Adventskalender gehört. Ostern werden diverse Schokoladeneier produziert. Für die Herren steht mit der speziellen „Männersache“ eine ganz eigene, dunkel gehaltene Produktlinie bereit, die sowohl in Sachen Optik als auch Geschmack ganz auf die männlichen Vorlieben abzielt.

Insgesamt umfasst das Angebot Niedereggers ungefähr 300 verschiedene Produkte. In der Produktion in der Zeißstraße werden während der Saison täglich 30 Tonnen Marzipan hergestellt. Zu den beliebtesten Produkten zählen die Marzipanklassiker sowie neue Trendprodukte wie die „Männersache“ in der Geschmacksrichtung Marzipan Whiskey Cola.

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