Die vielschichtige Geschichte des Schlagers: Von "Ich will 'nen Cowboy als Mann" bis zu Helene Fischer

Der deutsche Schlager ist mehr als nur einfache Unterhaltungsmusik. Er ist ein Spiegelbild der Gesellschaft, ihrer Sehnsüchte, Träume und Veränderungen. Von den unbeschwerten Klängen der Nachkriegszeit bis zum modernen Popschlager von heute hat sich das Genre stetig weiterentwickelt und dabei immer wieder neue Facetten gezeigt. Dieser Artikel beleuchtet einige prägende Momente und Künstler dieser Entwicklung, beginnend mit Gitte Hænnings Hit "Ich will 'nen Cowboy als Mann" und spannt den Bogen bis zu aktuellen Phänomenen wie Helene Fischer.

Gitte Hænning und der Aufbruch der 60er Jahre

Gitte Hænning, geboren 1946 in Dänemark, eroberte in den 1960er Jahren die deutschen Charts im Sturm. Ihr Sieg bei den Deutschen Schlagerfestspielen 1963 mit "Ich will 'nen Cowboy als Mann" markierte einen Wendepunkt im deutschen Schlager. Der Song, geschrieben von Nils Nobach (Peter Ström) und Rudi von der Dovenmühle (Rudi Lindt), traf den Nerv der Zeit und verkörperte auf charmante Weise den Wunsch vieler junger Frauen nach Freiheit und Abenteuer.

Der Zeitgeist im Spiegel des Schlagers

Autor Dieter Bartetzko interpretierte den Erfolg des Liedes als Ausdruck eines "netten wie geballten Spießertums", da es die Geschichte eines jungen Mädchens erzählt, das sich gegen die elterlichen Ratschläge stellt und einen Cowboy dem gutbürgerlichen Eheleben vorzieht. André Port le Roi hingegen sah in dem Song einen Aufbruch mit den "muffigen Idealen der Adenauer-Ära" und ein erstes zaghaftes Beharren auf eine selbstbestimmte Sexualität. Unabhängig von der Interpretation spiegelte der Song die gesellschaftlichen Veränderungen und den Wunsch nach mehr Individualität wider.

Gitte und Rex: Ein Traumpaar des Schlagers

Im selben Jahr gelang Gitte ein bemerkenswertes Kunststück: Sie löste sich mit ihrem Duett mit Rex Gildo, "Vom Stadtpark die Laternen", selbst als Nummer eins der Charts ab. Gitte und Rex wurden zu einem Traumpaar des Schlagers und erhielten sogar ihre eigene TV-Show. Während "Ich will 'nen Cowboy als Mann" eher frech und rebellisch war, präsentierte sich das Duett "Vom Stadtpark die Laternen" biederer und traditioneller. Auch hier spiegelt sich die politische Situation der Zeit wider, die von einem Aufbruch, aber auch von einer gewissen Unsicherheit geprägt war.

Emanzipatorische Ansätze und musikalische Experimente

Auch in ihren späteren Liedern verfolgte Gitte emanzipatorische Ansätze. In "Aber heimlich" sang sie von sich selbst in der dritten Person und thematisierte die Erwartungen und Zuschreibungen, mit denen sie als junge Künstlerin konfrontiert war. In den späten 1960er Jahren begann Gitte, sich von den reinen Schlagerproduktionen zu distanzieren und ihrer Liebe zum Jazz nachzugehen. Sie produzierte das Jazz-Album "Out of This World", das jedoch kommerziell nicht an ihre früheren Erfolge anknüpfen konnte.

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Ein Lied für Luxemburg und die Rückkehr zum Erfolg

1973 bewarb sich Gitte um die Teilnahme am Grand Prix Eurovision und gewann mit dem Lied "Junger Tag". Im internationalen Wettbewerb erreichte sie jedoch nur einen enttäuschenden achten Platz. 1974 gelang ihr mit "So schön kann doch kein Mann sein" ein zweiter großer Erfolg. Der Song bestand aus nur zwei Akkorden und war ein Ohrwurm, der sich in den Charts festsetzte.

Christian Bruhn: Der Komponist im Hintergrund

Christian Bruhn, geboren 1934, ist einer der erfolgreichsten deutschen Komponisten. Er schuf zahlreiche Schlager, Titelmelodien für TV-Serien und Werbe-Jingles, die das musikalische Gedächtnis Deutschlands geprägt haben. Zu seinen bekanntesten Werken gehören "Wunder gibt es immer wieder", "Liebeskummer lohnt sich nicht" und "Ein bisschen Spaß muss sein". Er komponierte auch die eingängigen Titelmelodien der Fernsehserien "Timm Thaler", "Heidi" und den Soundtrack zu "Captain Future". Nicht zu vergessen Werbemelodien wie die für Milka-Schokolade.

Vom Jazz zur leichten Muse

Bruhn studierte klassische Musik, entdeckte aber schon früh seine Leidenschaft für die leichte Muse. Er spielte nachts in Bars und Kneipen Jazz und fand schließlich seinen Weg zum Schlager. Bruhn arbeitete mit zahlreichen bekannten Textern und Sängern zusammen, darunter Drafi Deutscher, France Gall, Mireille Mathieu und Katja Ebstein.

Die Kunst des Komponierens

Bruhn beschreibt seinen Kompositionsprozess als eine Mischung aus Inspiration und Handwerk. Oftmals sei zuerst die Melodie da, zu der dann mühsam ein Text gesucht wurde. Manchmal habe er aber auch zuerst eine Textzeile, die ihm gefiel, und dichtete dann den Rest des Textes dazu. Bruhn betont, dass Routine auch ihre positiven Seiten habe und dass er bis heute keine "Komponierblockade" kenne.

Schlager als Soundtrack der Nachkriegszeit

Bruhn ist sich bewusst, dass seine Musik einen Beitrag zum Selbstverständnis der Nachkriegsdeutschen geleistet hat. Er räumt aber auch ein, dass das Niveau der Schlagertexte oft schwankte und dass es "entsetzlich dämliche Songs" gab. Trotzdem sei er stolz darauf, mit seiner Musik vielen Menschen Freude bereitet zu haben.

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Doctorella: Popmusik als Fanzine

Doctorella, gegründet von den Zwillingsschwestern Kerstin und Sandra Grether, ist ein Projekt, das Popmusik mit den Wurzeln eines Fanzines verbindet. Die Grethers begannen ihre Karriere mit dem Fanzine "Straight", in dem sie über Musik schrieben und ihre eigenen Ideen verwirklichten.

Von der Theorie zur Praxis

Nachdem sie nach Berlin gezogen waren, gründeten die Grethers Doctorella und versuchten, ihre musikalischen Vorstellungen umzusetzen. Die Band erhoffte sich nicht nur positive Kritiken, sondern auch hohe Chartplatzierungen. Nach einigen Misserfolgen wechselten die Grethers die Bandmitglieder aus und nahmen Gesangsunterricht.

Ironie und Experimentierfreude

Doctorella zeichnet sich durch ironische Texte, musikalische Experimentierfreude und einen Hang zur Dramatik aus. In ihren Liedern thematisieren sie zwischenmenschliche Beziehungen, Popkultur und gesellschaftliche Phänomene. Die Band scheut sich nicht, mit Konventionen zu brechen und neue Wege zu gehen.

Der Schlager heute: Helene Fischer und die ungebrochene Popularität

Auch heute erfreut sich der Schlager ungebrochener Popularität. Helene Fischer ist eine der erfolgreichsten deutschen Sängerinnen und hat dem Genre zu neuer Popularität verholfen. Ihre Konzerte sind ausverkauft, ihre Alben erreichen Spitzenpositionen in den Charts.

Eine große Könnerin

Christian Bruhn lobt Helene Fischer als eine "große Könnerin" und betont, dass sie zu Unrecht oft geschmäht werde. Er erinnert an Goethes Worte: "Wenn etwas im Volk Erfolg hat, muss etwas dran sein." Helene Fischer hat es geschafft, den Schlager in die Moderne zu transportieren und ein breites Publikum anzusprechen.

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